P3 7-8/2020 de

Voith

Das Potenzial einer nachhaltigen Papierherstellung

Sustainability

Im Zuge der aktuellen Debatte um Klimaschutz und Nachhaltigkeit muss sich, wie alle ressourcenintensiven Industrien, auch die Papierindustrie nachhaltig weiterentwickeln. Dabei stehen vor allem die Ressourcenschonung und eine Dekarbonisierung des Papierherstellungsprozesses im Fokus. Der Verband der europäischen Papierindustrie (CEPI) hat bereits bestätigt, den CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 senken zu wollen. Dazu werden bahnbrechende Technologien und eine konsequente Umstellung auf nachhaltige Energiequellen nötig sein. Die ambitionierten Klimaschutzziele setzen Papierhersteller und Zulieferer unter Druck.

Auch in China steht die Branche vor der dringenden Herausforderung, klimafreundlicher zu werden. Das Land hat in diesem Jahr offiziell erklärt, bis 2060 CO2-neutral zu werden. Gleichzeitig umfasst der Megatrend Nachhaltigkeit, neben gesetzlichen Vorgaben, längst sämtliche Lebensbereiche und Industrien. Das Interesse der Endverbraucher an nachhaltigen Produkten ist enorm und der steigende gesellschaftliche Druck weist Papierproduzenten und Zulieferern immer konsequenter den Weg zu einer nachhaltigen Papierproduktion.

Dabei hat der Werkstoff Papier durch nachwachsende Rohstoffe und seine Recyclingfähigkeit großes Potential, einen positiven Beitrag zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu leisten. Dies gilt es auch im Herstellungsprozess zu nutzen. Für eine klimafreundliche Papierproduktion gibt es heute bereits Lösungen – und Unternehmen, die sich die Frage stellen, wie die Papierherstellung der Zukunft aussieht. Ein Überblick über revolutionäre Technologien, eine abwasserfreie Papierfabrik und das große Potential des recyclebaren Werkstoffs Papier.

Innovationen für Dekarbonisierung und Ressourcenschonung

Den Papierherstellungsprozess fundamental neu gestalten und so Ressourcen schonen, Energie sparen und den CO2-Fußabdruck verkleinern – Voith arbeitet daran, genau dafür Lösungen und Technologien zu entwickeln. „Wir forschen an unterschiedlichen Möglichkeiten, die das Potenzial haben, unser heutiges Verständnis der Papierherstellung grundlegend zu verändern“, sagt Frank Opletal, Chief Technology Officer, Voith Paper. „Unsere Lösungsansätze beziehen sich auf Verfahren, die den CO2-Verbrauch senken und Rohstoffe einsparen.“ Ein vielversprechender Lösungsansatz könnte dabei den Einsatz von Wasser massiv senken und den thermischen Energiebedarf um bis zu 80 Prozent im Vergleich zu derzeitigen Bedarfen reduzieren. „Darüber hinaus erforschen wir zahlreiche weitere Optimierungsansätze und setzen neue Entwicklungsmethoden ein, beispielsweise im Bereich der Bionik“, berichtet Opletal. „Dabei übertragen wir Prinzipien aus der Natur auf unsere Produkte, um neue Funktionalitäten und Formen zu ermöglichen. Beispielsweise haben wir Rollenschneidmesser entwickelt, deren Prinzip den sich selbst schärfenden Zähnen eines Bibers nachempfunden ist.“

Die großen Fragen der Papierindustrie gemeinsam beantworten

Den Papierherstellungsprozess nachhaltiger zu gestalten erfordert tiefes Prozesswissen und enorme Anstrengungen. Dabei hat Voith den Anspruch, als Full-Line-Anbieter ganzheitliche Lösungskonzepte zu entwickeln, die über die Verbesserung einzelner Sektionen hinaus den Blick auf den gesamten Papierherstellungsprozess und damit verbundene Herausforderungen richten. „Zum Beispiel setzen wir uns mit Fragestellungen auseinander, bei denen wir erörtern, woher die erforderliche Energie für den Trocknungsprozess in Zukunft kommen wird“, so Opletal. „Durch den sukzessiven Ausbau erneuerbarer Energiequellen wird insbesondere die Verfügbarkeit regenerativer Energie weiter anwachsen. Darüber hinaus kann die Bindung und Speicherung des im Gesamtprozess ausgestoßenen Kohlendioxids ein Lösungsansatz zur Dekarbonisierung sein.“

Um diese Themen noch konsequenter zu verfolgen, geht Voith Kooperationen ein. Gemeinsam mit Start-ups werden Lösungen entwickelt, die den Papierherstellern helfen sollen, CO2-Senken an ihrem Produktionsstandort zu schaffen. Ein vielsprechender Ansatz liegt beispielsweise in der Nutzung eines innovativen Pyrolyse-Verfahrens. Hierbei kann ein Teil der benötigten thermischen Energie über die thermische Verwertung von Biomassen bereitgestellt werden, ohne, dass dabei CO2 freigesetzt wird. Als Teil eines Industriekonsortiums möchte Voith in der Modellfabrik Papier grundlegende Erkenntnisse über nachhaltige technologische Lösungen für die Papierherstellung der Zukunft mitentwickeln und gewinnen. Das Ziel des in Düren, Deutschland, entstehenden Zentrums für disruptive Innovationsprojekte ist die Erforschung ressourceneffizienter, klimaneutraler und energieoptimierter Papierherstellungsprozesse. Das Projekt kann auf umfangreiche Fördermittel aus dem Ausgleichsfonds „Rheinisches Revier“ zurückgreifen, mit dem der Strukturwandel nach dem Braunkohleausstieg in der Region vorangetrieben werden soll, und wird von zahlreichen Großunternehmen aus der Papier- und Zuliefererindustrie getragen. Die TU Darmstadt und die Papiertechnische Stiftung (PTS) stellen eine wissenschaftliche Begleitung sicher. Der Baubeginn der Modellfabrik ist innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre geplant.

Nicht nur Zukunftsmusik  

„Vieles von dem, was wir in Zukunft erreichen wollen, ist heute schon in greifbarer Nähe“, berichtet Opletal. So bietet das Unternehmen bereits jetzt Lösungen für eine abwasserfreie Papierherstellung. Kürzlich wurde in Deutschland eine Produktionslinie in Betrieb genommen, die einen geschlossenen Wasserkreislauf und moderne Verfahrenstechnik zur Abwasseraufbereitung enthält. Bei dieser „Zero Effluent Mill“ mit biologischer Niere wird das gesamte bei der Papierherstellung anfallende Prozesswasser in der betriebseigenen Kläranlage gereinigt und in den Produktionsprozess zurückgeführt. Gleichzeitig wird der Frischwasserverbrauch drastisch reduziert. „Das ist das erste Mal, dass solch ein System bei einer Neuanlage entwickelt und installiert wurde“, hebt Opletal hervor. „Ohne Netz und doppelten Boden – es gibt nicht die Möglichkeit, einen Hebel umzulegen und das Wasser aus dem Prozess zu leiten. Unser technologisches Know-how und ein tiefes Prozesswissen haben das ermöglicht.“

Mit der BlueLine Stoffaufbereitung bietet Voith heute das „weltweit ressourcenschonendste Prozesskonzept am Markt“, mit dem ein minimaler Energieverbrauch ermöglicht und der CO2-Fußabdruck der Papierproduktion verkleinert wird. Die BlueLine erreicht signifikante Energieeinsparungen von bis zu 20 Prozent im DIP-Prozess sowie 25 Prozent im OCC-Prozess, im Vergleich zu Standard-Stoffaufbereitungsanlagen. Neben dem Energieverbrauch liegt der Fokus vor allem auch auf einer noch effizienteren Aufbereitung von Recyclingfasern im BlueLine OCC-Prozess, um den Frischfasereinsatz und -verbrauch zu reduzieren. „Die Recyclingquoten von Papier liegen in Europa mittlerweile bei über 72 Prozent“, berichtet Opletal. „Das ist notwendig und wichtig, um die Nachhaltigkeit des Werkstoffs weiter voranzutreiben. Als Technologiekonzern stellt uns dies gleichzeitig vor die Aufgabe, noch leistungsstärkere Anlagen zu entwickeln, die die Papierfasern in ausreichend hoher Qualität aus dem Altpapier zurückgewinnen. Denn je ergiebiger und qualitativ hochwertiger die Verarbeitung der Altpapierfasern erfolgt, desto höher ist die Papierqualität – auch ohne Zukauf von Frischfasern. Das schont nicht nur die Umwelt, es sinken zugleich Produktionskosten.“

Digitale Technologien für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit 

Auch digitale Lösungen werden ein wichtiger Stellhebel zur Ressourcenschonung und der Reduktion von CO2-Emissionen sein, und sind es heute schon. „Die Digitalisierung spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, ökologische und ökonomische Anforderungen zu vereinen“, sagt Opletal. „Digitale Lösungen aus unserem Papermaking 4.0-Portfolio erlauben ein besseres Monitoring aller Prozesse und damit eine präzisere Produktionssteuerung, die wiederum zu einer höheren Effizienz und besseren Verfügbarkeiten führt. Das spart Energie, Ressourcen und Betriebskosten.“ Durch datenbasierte Prozessregelungen, beispielsweise mit OnEfficiency.Strength, kann der ökologische Fußabdruck der Papierherstellung weiter optimiert werden. Neue Apps auf der OnCumulus IIoT-Plattform werden in naher Zukunft unter anderem eine komplette Transparenz über alle Energieverbrauche einer Papierfabrik in Echtzeit ermöglichen und somit weitreichendes Optimierungspotential für Papierproduzenten erschließen. „Mit einer dieser Apps, unserem OnEfficiency.BreakProtect System, können wir außerdem mittels künstlicher Intelligenz Betreibern Empfehlungen aussprechen, wie Abrisse vermieden werden können“, berichtet Opletal. „Dadurch erhöht sich die Effizienz der Anlage und Produktionskapazitäten steigen.“

Neue Anwendungsfelder für Papier

Um das volle Potenzial des nachhaltigen Werkstoffes zu nutzen, sollen die Anwendungsgebiete von Papier zukünftig erweitert werden. Sein großes Recyclingpotential macht es dabei zu einer guten Alternative zu gängigen, zum Teil erdölbasierten Materialien. Gefragt sind unter anderem Alternativen zu den meist kunststoffbasierten Verpackungen, die etwa bei Lebensmitteln oder Süßwaren zum Einsatz kommen. Gleichzeitig lassen sich die nötigen Barriereeigenschaften, beispielsweise für die Durchlässigkeit von Sauerstoff, Wasserdampf oder Flüssigkeiten, nicht allein mit Papier erreichen. Flexible, innovative Verpackungslösungen können hier Abhilfe schaffen. Voith hat in Zusammenarbeit mit einem Hersteller für Spezialpapiere ein zu 100 Prozent recyclebares flexibles Verpackungspapier mit Barriereeigenschaften entwickelt. Dabei bildet besonders der Streichprozess eine hohe Hürde, denn beim Auftragen der funktionalen Schicht ist die wasserbasierte Dispersion sehr temperaturempfindlich. „Die mit unserer Streichmaschine aufgetragenen Schichten sind auf wasserbasierten Polymerdispersionen aufgebaut und verleihen dem Papier unterschiedliche Barriereeigenschaften“, beschreibt Opletal. Solch nachhaltige Verpackungslösungen können beispielsweise für Lebensmittelverpackungen, Hygieneprodukte oder Reinigungsmittel eingesetzt werden. Die Nachfrage von Kunden weltweit nach Versuchen mit Barrierepapieren ist dabei so groß, dass das Unternehmen nun im eigenen Technology Center die Versuchs-Streichmaschine auf genau diese Bedarfe anpasst. Dazu werden die Trocknungskapazitäten deutlich erweitert, die Bahnführung optimiert und neueste Automatisierungstechnik und Sensorik installiert. So können das Trocknungsverhalten der Auftragsmedien optimal kontrolliert und tiefe Erkenntnisse über die Herstellung von Barrierepapieren gewonnen werden. Kunden eröffnet dies die Möglichkeit, zielgerichtet neue, funktionale Papiersorten zu entwickeln und danach zu produzieren.

Dass der Weg zu einer klimaneutralen Papierproduktion trotz aller Lösungsansätze noch lang ist, schreckt Frank Opletal dabei nicht ab: „Diese ressourcenintensive Industrie kann nicht von heute auf morgen klimaneutral werden. Es werden viele kleine Schritte, stetige Innovationen und auch neue Wege nötig sein, um eine wirklich nachhaltige Papierherstellung zu erreichen. Doch das Potential des Werkstoffs ist dabei so groß, dass sich dieser Weg in jedem Fall lohnen wird.“

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