P3 7-8/2020 de

Kreativität & Kontext

„Dort drüben fängt alles an!“

Paper & People

Ob Forfel, Ach und Krokodeil oder Bartholomäus Blumenbart: Wer mit Vorliebe Kinderbücher gestaltet, kommt vielfach mit wunderlichen Figuren in Berührung. Die in Wien lebende Illustratorin Nadine Kappacher hat für solche Auftritte genau das richtige Händchen. Im Paperazzo-Gespräch hält sie fest, dass sich Inspiration aus so ziemlich allen Lebenslagen ziehen lässt. Und dass man die Welt nicht immer zu ernst nehmen sollte.

Den Lebenslauf fasst die gebürtige Burgenländerin kurz und bündig im unteren Bereich einer A4-Seite zusammen – anderswo würde er für mehrere Personen reichen. Da wären zunächst die Studien: Ethnologie, Sozial- und Kulturanthropologie, Internationale Entwicklung, Afrikanistik, dazu Philosophie „im Nebenfach“. Und weiter geht’s: Ausbildung zur Printgrafikerin, Marketing für die Kunsthalle Wien, mehrjährige Mitarbeit im Letterpress-Studio Herz & Co. Schließlich die Tätigkeit als selbstständige Illustratorin, offene Malabende und Workshops inbegriffen. Zweimal kam Nachwuchs hinzu. Und eigentlich wollte sie ja Ballerina werden … Wie geht das alles zusammen – in einem Tätigkeitsfeld, das vornehmlich von Inspiration und Kreativität lebt?

Und tschüss, kleiner Dämon

„Ich habe begonnen, meine ersten Zeichnungen in einem Blog online zu stellen, weil ich mit dem Abschluß meines Studiums und dem Schreiben der Diplomarbeit gekämpft habe“, sagt Nadine darüber, wie alles angefangen hat. „Diese Bilder waren kleine Schwarzweiß-Zeichnungen über die Zwiegespräche mit dem inneren Dämon, der einen auslacht, einem nichts zutraut. Selbstzweifel, Depressionen, Alltagskram. Doch irgendwann kamen Farben und neue Geschichten – und der little demon hat sich verabschiedet. Ich habe dann Kinderbücher und andere Auftragsarbeiten gemacht und für Magazine gearbeitet. Und dabei versucht, das eigene, freie Schaffen nicht aus den Augen zu verlieren – weil darin der ganze Pool für die Inspiration liegt.“

Meerweh

Ihre Webseite findet man unter www.meerweh.at, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Sehnsucht nach dem Meer eine der wesentlichen Quellen für Nadines kreative Arbeit ist: „Die Weite, das Blau, die nie enden wollenden Wellen. Ich zeichne Fische und noch mehr Fische, das ist für mich der beste Weg zur Entspannung.“ Aber auch die Liebe zum Material spielt eine gewichtige Rolle: die Haptik des Papiers, das Mischen der Farben, der Geruch am Arbeitsplatz. „Bei Herz und Co im Letterpress-Studio konnte ich meine unbändige Bastel-Liebe und Leidenschaft für Papier ausleben. Ich habe an der Druckmaschine mitgearbeitet, Farben gemischt, in der Papierverarbeitung dann Karten-Sets hergestellt und auch Kundenaufträge gezeichnet.“

Dünnes Buch für dicke Zeiten

Der künstlerische Umgang mit immer neuen Herausforderungen hat eine befreiende wie auch inspirierende Wirkung. „In meiner ersten Schwangerschaft – wieder herausgefordert von neuen Situationen, die es zu bewältigen galt – habe ich dann die Pregnancy Diaries gezeichnet.“ (Anm. d. Red.: Erschienen 2020 im Verlag punktgenau zu Wien, siehe unten.) „Die Auseinandersetzung mit den Holprigkeiten des Alltags, die kleinen und die großen Fragen, der Kampf und die Versöhnung mit den inneren Dämonen – all das sind Quellen, die man sich zugunsten der eigenen Kreativität erschließen kann“, sagt Nadine. „Und der Humor, der damit einhergehen muss.“

Welten in Bildern

Im zeichnerischen Bereich ist die Künstlerin, die sich selbst als „Anti-Perfektionistin“ bezeichnet, weitgehend Autodidaktin. „Ich habe nie eine Ausbildung gemacht“, gibt sie zu Protokoll, „aber schon seit früher Kindheit immens viel gemalt und gezeichnet. It runs in the family – wir erschaffen Welten in Bildern. Im Vordergrund stand nie das Erlernen einer 'richtigen Darstellung', nicht das Zeichnen können, sondern der Genuß und die Notwendigkeit zu zeichnen. Immer wieder das Gleiche zu zeichnen, rein zur Entspannung. Mit Farben spielen. Charaktere erschaffen und sprechen lassen. Ganz alltägliche Gemütszustände darstellen.“

„Mein Arbeitsplatz ist ein riesiger Sauhaufen.“

Nadine Kappacher

Eine bevorzugte Arbeitsweise hat sich im Laufe der Jahre dennoch herauskristallisiert, bestätigt sie: „Meine primäre Technik sind Fineliner auf Papier, Colorierung durch Buntstifte, oder Aquarell. Meistens arbeite ich eher reduziert. Mein Arbeitsplatz ist trotzdem ein riesiger Sauhaufen. Durch die vermehrte Auftragsarbeit bin ich auch ins digitale Zeichnen eingestiegen. Anfangs mit ordentlich viel Skepsis (Das Papier!? Die Farben!?), aber mittlerweile schätze ich die Kombi aus beidem sehr! Und so ist das Arbeiten mit Collagen wieder wichtiger für mich geworden. Ich zeichne und male Flächen am Papier, scanne die dann ein und zerschnipsele sie digital. Natürlich zerschnipsele und collagiere ich auch mit Schere und Papier; was gibt es Schöneres? Hin und wieder packe ich auch die Nähmaschine aus und nähe am Papier, sticke Fäden hinein, nähe alte Buchseiten darauf. Oder ich hole Erika, die Schreibmaschine, hervor und tippe Sätze auf Durchschlagpapier, um sie dann auszuschneiden und in meine Bilder zu kleben.“

Raus aus dem Kontext …

Überhaupt darf die Liebe zum Wort nicht unerwähnt bleiben. „Songlyrics und auch sonst alles mögliche an Worten und Halbsätzen findet den Weg in meine Bilder. Ich mag es gern, wenn die Worte und Sätze in meinen Zeichnungen irritieren. Das Aus-dem-Kontext-Gerissene hat eine eigene, schöne Bedeutung“, sagt Nadine und fügt hinzu: „Es soll entweder zum Nachdenken anregen – oder das Nachdenken stoppen und umdrehen lassen.“

… rein ins Atelier

Ihren Arbeitsplatz hat Nadine im Wiener Atelier Brutstätte, einem „Kombinat für Yoga, Text und Bild“. Die Räumlichkeiten teilt sie sich mit Eva Karel, ihres Zeichens Autorin, Yogalehrerin und Malerin, sowie Lena Raubaum - Autorin, Sprecherin und ebenfalls Yogalehrerin. „Wir sind die Neigungsgruppe Schabernack und es ist ziemlich bunt, lebhaft und lustig bei uns. Im Atelier halte ich auch Workshops und einmal im Monat meinen offenen Malabend. Es ist zwar zunächst ein Raum, um ganz selbstständig an eigenen Projekten zu arbeiten, aber viele Teilnehmer kommen auch mit dem Wunsch dorthin, sich Inspiration zu holen und endlich einmal wieder zu zeichnen. Dort soll es einen niederschwelligen Zugang zum Zeichnen geben – ohne Anspruch auf Perfektion.“

Mal- und Bastelvorlagen

Mit den durch die Corona-Pandemie bedingten Absagen von Workshops, Ausstellungen, Märkten und Buchpräsentationen war 2020 allerdings auch in diesem Umfeld ein schwieriges Jahr, bestätigt Nadine: „Meine Arbeit hat sich verschoben – insbesondere hin zu meinem Webshop. Und ich habe natürlich viel mit und für meine Kinder gezeichnet – und anderem Mal- und Bastelvorlagen. Wer Interesse daran hat, findet die Materialien auf meiner Website und bei Illustrators against Covid19.“

Die Lust, immer wieder Neues zu probieren, bleibt jedoch eine treibende Kraft in Nadines Leben, und so richtet sich der Blick nach vorn: „Im Herbst habe ich begonnen, Schaufensterbemalung mit Kreidefarben zu machen. Und das wird wohl meine neue Leidenschaft. Dieses eine große Projekt über drei Tage und viele Meter hat furchtbar viel Spass gemacht!“

Ausgewählte Veröffentlichungen

  • The Pregnancy Diaries. Verlag punktgenau, 2020. ISBN 978-3-9504855-5-4
  • Urlaub, Ahoi! Tyrolia Verlag, 2020, Autorin: Corinna Antelmann. ISBN 978-3-7022-3841-4
  • Geschichten von Jana. Tyrolia Verlag 2015, Autorin: Sarah Orlovsky. ISBN 978-3-7022-3439-3
  • Edi Dickstur und der Norz. Obelisk Verlag 2010, Autorin: Jutta Treiber. ISBN 978-3-8519-7618-2

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