P3 1-2/2021 de

Smart Print Shop

„Im Gesamtprozess muss alles perfekt zusammenspielen!“

Management & Marketing

Mit der Bedienphilosophie Push to stop end-to-end hat Heidelberg wesentliche Schritte auf dem Weg zum Smart Print Shop gesetzt. Wir sprachen mit Ludwig Allgoewer, Leiter Marketing und Vertrieb bei der Heidelberger Druckmaschinen AG, über Kundenwünsche, autonom ablaufende Prozesse, zukunftsweisende Konzepte und Gesamtanlageneffizienz.

Unter dem Motto „Unfold your potential“ hat Heidelberg das Potenzial der Prozessdigitalisierung in den Vordergrund gerückt. Wie sehen Sie die deutsche Druck- und Medienindustrie bei der Digitalisierung im internationalen Vergleich und welche Lösungen kann Heidelberg der Branche bieten?

Traditionell ist die deutsche Druckindustrie im Vergleich mit anderen bzw. Märkten, die einen geringeren Industrialisierungsgrad aufweisen, sehr offen für Innovationen. Aufgrund der Wettbewerbssituation ist der Automatisierungsgrad hoch. Dennoch besteht natürlich auch in Deutschland weiterhin ein großes Potenzial im Hinblick auf die Digitalisierung aller wertschöpfenden Prozesse auch über das Unternehmen hinaus.

Heidelberg bietet ihren Kunden im Verpackungs-, Etiketten und Akzidenzdruck den Smart Print Shop, der als Weltpremiere seit Herbst vergangenen Jahres in seiner höchsten Ausbaustufe eine autonome Druckproduktion end-to-end ermöglicht und zwar inklusive Vorstufe und Weiterverarbeitung. Dabei spielt die Größe der Druckerei keine Rolle. Das modulare Angebot richtet sich an kleine bzw. mittlere Druckereien sowie Großbetriebe gleichermaßen. Darüber hinaus können Kunden entscheiden, ob sie mit Heidelberg eine herkömmlich transaktionale Geschäftsbeziehung haben oder aber auf sich für eines der zahlreichen Vertrags- bzw. Subskriptionsangebote entscheiden, dessen Bezahlung sich am Output bzw. Nutzen orientiert, den der Kunde erzielt.

„Push to stop end-to-end“ – ist das mehr als nur ein Schlagwort? Was steckt im Detail dahinter?

In einer weltweiten Umfrage mit über 1.000 Kunden haben wir ermittelt, welche vier wesentlichen Themen die Herausforderungen in der Druckbranche beschreiben: Das sind die zunehmende Komplexität, der Fachkräftemangel, der Wettbewerbsdruck und die Erweiterung der Wertschöpfungskette mit digitalen Plattformen.

Als eine Antwort darauf entwickelten wir die neue Bedienphilosophie „Push to Stop“ und leiteten damit einen Paradigmenwechsel in der industriellen Druckproduktion ein. Wurden bislang Prozesse aktiv durch den Bediener gestartet, übernimmt dies in Zukunft die Maschine selbst. Der Bediener unterbricht die autonom ablaufende Prozesskette nur noch bei Bedarf. Die Effektivität der Druckproduktion lässt sich dadurch auf ein bislang nicht erreichtes Level heben, die Prozesse werden planbarer, und die Fehlerrate sinkt durch kontinuierliche Prozessüberwachung.

Mit „Push to Stop“ und den Speedmaster Maschinen der Generation 2020 wird somit die OEE1 – die Gesamtanlageneffizienz – nachhaltig gesteigert. Durch eine Vielzahl von intelligenten Assistenten und sogar durch künstliche Intelligenz arbeiten die Speedmaster Maschinen die anstehenden Druckaufträge autonom ab. Dies mit der optimalen und kürzesten Umrüst­sequenz, was höchste Nettoproduktivität bedeutet. Der Bediener erhält einen modernen Arbeitsplatz, wird bei jedem Job unterstützt und kann sich vorrangig den wichtigen Steuerungsaufgaben widmen.

Richtet sich die Digitalisierung und Automatisierung des Gesamtprozesses à la Heidelberg an alle Drucker, oder gibt es durch die Ablauforganisation bedingte Limits? Viele Druckereien stellen im Portfolio ihre individuelle Lösungskompetenz hervor, beispielsweise durch spezielle Veredelungen, Materialien oder Formen. Wo stößt Push to stop end-to-end an seine Grenzen?

Der Zweck von Digitalisierung und Vernetzung ist die Steigerung der Produktivität in der Branche ohne zusätzliches Personal. Vor allem durch automatisierte und intelligent vernetzte Prozesse lässt sich die Produktivität der Druckereien bis zum Jahr 2030 verdoppeln. Aus der Vielzahl an verfügbaren Daten lassen sich sowohl für die Kunden als auch für Heidelberg sinnvolle Informationen herauszuziehen. Also aus Big Data dann Smart Data generieren.

Dies betrifft alle Druckereien mehr oder weniger. Mit unseren innovativen Lösungen dürfen wir unsere Kunden individuell und umfassend beraten, so dass das richtige Gesamtkonzept für ihr Geschäftsmodell erarbeitet wird. Unterstützend kommt hinzu, dass die Speedmaster Modelle der Generation 2020 alle im Standard die Push to Stop-Funktionalität und die Prinect Cloudschnittstelle enthalten - von der Speedmaster SX 52 bis zur Speedmaster XL 106. Weiterhin ist unser Prinect Workflow skalierbar. Der Kunde bezahlt nur für die Funktionalitäten, die er momentan benötigt und kann sich bei weiterem Bedarf und Wachstum mehr Funktionalitäten über die Cloud freischalten lassen.

Ein vollständig autonom ablaufender Prozess klingt wie das Ende der Fahnenstange. Was kommt nach end-to-end, abgesehen von Optimierungen im Detail?

Um mögliche 50 Prozent OEE und mehr nachhaltig zu erreichen, muss alles im Gesamt­prozess perfekt zusammenspielen. Dazu gehören die Standardisierung und Qualifizierung von Verbrauchsmaterialien, Prozesskalibrierung, selbstlernende Systeme, aber auch intelligente Wartungskonzepte. Kombiniert mit unserem anwendungstechnischen Know-how, unserem stetig wachsenden Portfolio an Verbrauchsmaterialien und unseren innovativen Service­konzepten ist „Push to Stop“ erst der Startschuss und wird mehr und mehr den Smart Print Shop umsetzen.

Drucken Ihre Kunden eines Tages mittels 3D-Drucker eigene, konfektionierte Heidelberg-Anlagen aus?

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.

Die Pflege der Kundenbeziehungen ist seit einiger Zeit nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich. Haben die digitalen Formate Ihre Erwartungen erfüllt oder verkaufen sich Innovationen ohne – oftmals teure – Präsenzveranstaltungen schlechter?

Die Corona-Pandemie hat vieles auf den Kopf gestellt und auch Dinge in Gang gebracht, die wir uns so nie hätten vorstellen können, z.B. einen vollständig virtuellen Kundenevent wie die Innovation Week im vergangenen Oktober, wo wir nach der ausgefallenen drupa nahezu unser gesamtes Leistungsangebot professionell online präsentiert haben. Dafür hatten wir mehrere tausend Registrierungen aus über 100 Ländern, mehrere hundert vereinbarte Einzelgespräche mit Entscheidern und rund 100.000fach geklickte Videos. Die Größenordnung an qualifizierten Kundenkontakten war in etwa vergleichbar einer internationalen Messe und das Feedback der Teilnehmer sehr positiv.

Dennoch: Die Druckbranche ist über alles gesehen auch eine familiäre Branche, in der der persönliche Kontakt zwischen Kunde und Hersteller extrem wichtig ist, weil er Vertrauen schafft und stärkt. Und eine Branche, in der Haptik eine große Rolle spielt. Daher werden wir, sobald es die Lage wieder zulässt, auch wieder Kundenevents als Präsenzveranstaltung durchführen. Künftig werden wir daher einen Mix aus Präsenz- und virtuellen Veranstaltungen sehen. Und ich finde, das ist eine gute Entwicklung.

Abschließende Frage: Im vergangenen Frühjahr sprachen wir mit Rainer Hundsdörfer u.a. über die unbefriedigende Entwicklung und Bewertung der Heidelberg-Aktie. In den letzten Wochen waren allerdings signifikante Steigerungen zu erkennen – der Kurs hat sich mehr als verdoppelt. Worauf führen Sie dies in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit zurück?

Einerseits honoriert der Kapitalmarkt unser bereits kurz vor dem Beginn der Covid-Pandemie ins Leben gerufene Transformationsprogramm, also unsere konsequente Fokussierung auf das Kerngeschäft und das Abschneiden von Verlustbringern. Dazu haben wir die Verschuldung drastisch reduziert und den Free-Cashflow verbessert. Zudem haben wir für das Gesamtjahr die Prognose bestätigt und das Margenziel angehoben. Wir haben finanziell und bilanziell unsere Hausaufgaben gemacht. Nun zeigen sich zudem Erholungstendenzen auf den für uns wichtigen Märkten in China und Europa.

Andererseits wecken unsere Aktivitäten im Bereich der Elektromobilität, v.a. die angekündigte Verdopplung unserer Kapazitäten in der Wallboxproduktion, die Fantasie der Investoren. Immerhin gehört Heidelberg mit seiner Wallbox für schnelles und unkompliziertes Laden im privaten Bereich zu den Marktführern in Deutschland. Die jährlichen Wachstumsraten in diesem Bereich liegen bei über 20 Prozent. Das ist eine spannende Entwicklung, offensichtlich auch für den Kapitalmarkt.

Herr Allgöwer, herzlichen Dank für das Gespräch!

1 Overall equipment effectiveness (Anm. d. Red.)

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