P3 3-4/2021 de

Grammy-Gewinner Jonathan Barnbrook

„Versuch, die Welt zu verändern!“

Paper & People

Manchmal ergeben sich Gelegenheiten einfach aus dem Nichts. Man muss sie nur beim Schopf zu packen wissen. Zugegeben, ich war ziemlich aufgeregt, als sich meine Wege zufällig mit denen von Jonathan Barnbrook kreuzten - immerhin dem Mann, der unter anderem für das Artwork auf David Bowies letzten vier Alben verantwortlich war. Eine Nummer zu groß? Mitnichten! Barnbrook erwies sich als bodenständiger, überaus höflicher englischer Gentleman - wenngleich mit einem Grammy im Bücherregal.

Beginnen wir am Anfang: Dein Wikipedia-Eintrag beschreibt dich als Grafikdesigner, Filmemacher und Typograf. Was hat dich in diese Branche gebracht und wie begann deine Karriere?

Jonathan Barnbrook: Der Weg in das Grafikdesign, in dem ich als Filmemacher und Typograf arbeite, führte über Plattencover. Es war die erste Form von Kunst, mit der ich in Kontakt kam, und ich habe die Cover und die Bandlogos akribisch kopiert. Ich hatte Kunst immer geliebt. Eines Tages setzte sich mein Kunstlehrer zu mir und fragte, was ich nach meiner Schulzeit tun wollte. Ich plante eine Art technischen Zeichenjob und er sagte: „Sehen Sie sich Grafikdesign an; das sind Sie.“ Und er erzählte mir, was Designer tun und welche verschiedenen Dinge man für einen solchen Job beachten und studieren sollte. Genaugenommen habe ich ihm zu verdanken, dass ich diesen Weg gegangen bin. Ich war auf einer ziemlich strengen Schule, und nicht alle hatten so viel Glück auf ihrem Weg, als sie die Schule verließen.

Im Laufe deiner Karriere haben sich die technischen Anforderungen an Designer erheblich geändert. Arbeitest du lieber mit Papier an Designprojekten oder bevorzugst du einen digitalen Ansatz? Kannst du dir das überhaupt noch aussuchen?

J.B.: Ja, die Einführung des Computers war eine der grundlegendsten Änderungen. Ich habe das Glück, dass ich gelernt habe, wie man auf traditionelle Weise zeichnet und entwirft, obwohl ich diese Art, Kunstwerke zu erschaffen, überhaupt nicht vermisse. Es war SO mühsam, die Schriftabstände per Hand zu setzen oder Text in eine gebogene Form zu bringen - ganz zu schweigen von all den Dingen, die zu tun waren, wenn ein Fehler passierte. Ich erinnere mich, als ich 1985 an meiner Kunsthochschule an einem Computer saß, konnte ich einfach nicht glauben, wie viel man damit anfangen konnte. Er war nach heutigen Maßstäben ziemlich primitiv, aber äußerst befreiend.

Das gesagt, muss ich trotzdem manchmal Dinge von Hand zeichnen, um sie direkt bearbeiten zu können. Es kann die Form von etwas verbessern, indem du einfach den Schwung oder den Strich eines Bleistifts benutzt.

Erscheint dir digitale Arbeit unpersönlicher?

J.B.: Nein, keine Methode ist per se unpersönlich. Es ist das Denken, das in die Verwendung der Technologie oder des Werkzeugs einfließt, das wichtig ist. Digital ist nicht nur eine Nachbildung des traditionellen Handwerks, es bringt eine neue Art des Denkens und Herangehens mit sich. Um eine Parallele zu verwenden: Elektronische Musik kann so leidenschaftlich und emotional sein wie akustische Musik - und sie ist trotzdem anders und hat ihren eigenen Charakter - und so ist es auch im Design mit den Methoden, die du verwendest.

Wie startest du ein neues Projekt? Kannst du unseren Lesern deine Arbeitsweise erklären, vielleicht mit einem besonderen Schwerpunkt auf den Unterschieden zwischen analogen und digitalen Ansätzen?

J.B.: Der analoge Teil ist das „Denken“, das normalerweise zunächst ziemlich verschwommen ist. Der Computer ist das Werkzeug, um dieses Denken in den Fokus zu rücken. Das ist eines der Dinge, die der Computer am besten kann - aber es ist gleichzeitig auch seine schlechteste Eigenschaft. Es dauert eine Weile, bis eine Idee oder Lösung in deinem Kopf keimt, und es ist erstmal nebulös. Du zeichnest es auf dem Computer und dann ist es dort in nacktem Schwarzweiß - und sieht normalerweise furchtbar aus. Was der Computer tut: Dich in die Lage versetzen, deinen Entwurf zu verfeinern. Das war vor Computern einfach sehr schwierig. Du hattest einen Versuch, die richtige Schriftart zu wählen, und musstest hoffen, dass es so funktionieren würde. Mit dem Computer sind es die Stunden der Verfeinerung, die dazu beitragen, den Job so zu gestalten, wie du es möchtest. Trotzdem will ich nicht zu viel über den Computer sagen. Es ist der Geist, für den ich angestellt werde, der hoffentlich die richtige Kreativität bringt und dann, wie dieser Geist den Computer benutzt, um die Kreativität zu interpretieren.

Du bist am besten für deine Albumcover bekannt. Welche Cover und Designer haben dich beeinflusst oder ermutigt, so etwas selbst zu probieren, als du jung warst? Roger Dean, Hypgnosis - oder vielleicht H. R. Giger, der das Cover für ELPs Brain Salad Surgery gemacht hat?

J.B.: Hmmm ... Wenn es dir nichts ausmacht, dass ich das sage, sind die Plattencover, über die du sprichst, eher eine Generation vor mir. Hypgnosis ja, aber es waren hauptsächlich Neville Brody, Peter Saville, Malcolm Garrett und Vaughan Oliver. Also weniger Illustration, statt dessen Designer, die Druckverfahren und verschiedene Materialien verwendeten, um etwas zu schaffen, das auf sehr moderne Weise zur Schönheit der Musik passte. Mir fiel auch auf, dass all diese Künstler an einem bestimmten Punkt eigene, spezifische Schriften gezeichnet hatten - dies ist für mich von grundlegender Bedeutung, um die Welt der Musik in eine visuelle Form zu überführen. Eine eigens entworfene Schrift ist wie eine bestimmte visuelle Stimme der Musik, daher halte ich sie für sehr wichtig. Das ist auch der Grund, weshalb ich speziell für Musikprojekte, an denen ich arbeite, Schriften zeichne und andere Dinge entwerfe.

Du hast die Cover von David Bowies letzten vier Studioalben entworfen: Heathen, Reality, The Next Day und Blackstar. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

J.B.: Ich habe an einem Buch für seine Frau gearbeitet, das frühere Model Iman. Er ging durch London, sprach mit verschiedenen Designgruppen und wählte schließlich mich aus. Ich habe mein Herz und meine Seele in diese Sache gesteckt, weil ich nicht nur einen guten Job machen, sondern mir auch zukünftige Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit Bowie eröffnen wollte. Der beste Weg, um Arbeit zu bekommen, ist das Wiederholungsgeschäft. Mach die erste Zusammenarbeit mit dir angenehm, positiv und kreativ, und die Leute werden wiederkommen. Deshalb sage ich immer, dass man Menschen mögen muss, um Grafikdesigner zu werden. Die Interaktion ist wirklich wichtig, und wenn du einen Wutanfall bekommst, ist das nicht besonders angenehm - und der Kunde wird nicht wiederkommen, egal wie gut deine Arbeit ist.

Du hast einen Grammy für deine Arbeit zu Blackstar gewonnen und wurdest für The Next Day nominiert. Das klingt nach einer einschneidenden Erfahrung. Hat das Telefon danach jede Minute geklingelt? Erhöht so etwas die Messlatte oder ändert es sogar deine Arbeitsweise?

J.B.: Ich neige dazu, nicht zu viel darüber nachzudenken. Das Wichtigste ist, gute Arbeit zu leisten. Ich stehe nicht wirklich auf Auszeichnungen und nehme auch kaum daran teil. Es hat also keinen Unterschied gemacht. Trotzdem bedeutete mir dieser Preis sehr viel, weil er nicht nur aus meinem unmittelbaren beruflichen Umfeld stammte, sondern aus der ganzen Welt. Der Preis war gut für die Sichtbarkeit, wenngleich einige Leute mir danach sagten, dass sie mich nicht mehr in Betracht ziehen würden, weil ich nun zu teuer wäre (ha) - was offensichtlich nicht der Fall ist, wenn man sich einige der kleineren Künstler ansieht, für die ich gearbeitet habe. Wenn ein Job interessant ist, bist du auch flexibel beim Budget. Ich denke, die interessantesten Arbeiten in der Geschichte des Grafikdesigns wurden mit Einschränkungen der Technologie oder des Budgets ausgeführt. In der Lage zu sein, diese Einschränkungen positiv zu nutzen, ist für mich das Kennzeichen eines guten Designers.

Das Verhältnis zur Kreativität ist eine komplexe Sache. Ich bin nicht unbedingt glücklich, wenn ich eine Arbeit beendet habe. Es gibt in dir immer das Bestreben, etwas noch Besseres zu schaffen. Erst ungefähr 10 Jahre später habe ich genug Abstand habe, um zu sehen, ob eine Arbeit gut ist oder nicht. Kreativität ist also Tag für Tag immer noch ein Kampf - so wie es sein sollte, wenn man gut sein will.

Du lebst derzeit in London. Grammy Award klingt aber auch nach Hollywood, Villa und Jacuzzi ...

J.B.: Er steht in meinem Bücherregal in London. Äh ... nichts weiter als das. Ich erinnere mich an den seltsamsten Teil der Zeremonie: Es gab eine Menge sitzender Leute, an denen ich vorbeiging, und sie klatschten meinen Namen und jubelten bei der Ankündigung - ich ging zu ihnen und fragte, warum sie das tun, wenn sie gar keine Idee haben, wer ich bin, und einer sagte: „Das ist Los Angeles, das ist mein Job und dafür werde ich bezahlt.“

Wenn du ein Cover entwirfst, möchtest du die Musik hören, bevor du den Job annehmen?

J.B.: Ich muss die Musik nicht hören, aber ich muss mich irgendwie mit dem Künstler verbinden, sonst mache ich mir Sorgen, dass ich nicht mit ganzem Herzen dabei bin. Bevor wir uns auf die Zusammenarbeit zu einem bestimmten Album einigen können, muss ich den Künstler kennen und etwas über seine Kreativität erfahren. Deshalb arbeite ich eher mit Künstlern zusammen, deren Musik ich verstehe und mag; das macht einen großen Unterschied mit Blick auf die Energie und Begeisterung, mit der du dabei bist.

Du bist dafür bekannt, Design zu verwenden, um Antworten auf politische Ereignisse zu geben. Denkst du, dass die Leute heutzutage auf solche Aussagen hören, oder ist das nur ein Weg, um Frust herauszulassen?

J.B.: Die Antwort lautet „Ja“ - in beiden Fällen. Ich denke, es ist eine natürliche menschliche Reaktion, Frustration ausdrücken zu wollen, also sind meine Statements für diesen Zweck gemacht - aber wenn du dir die Geschichte des Protests durchsiehst, wirst du feststellen, dass Grafikdesign immer der wesentliche Träger von Statements war - Plakate, Poster, Flugblätter, jetzt eben digital. Das ist eine sehr effektive Kraft in der Politik.

Wo wir gerade über Politik reden: War es deiner Meinung nach die richtige Entscheidung, Großbritannien aus der EU herauszuführen? Oder hat Boris Johnson dem Land Schaden zugefügt, nur um sich selbst zu inszenieren?

J.B.: Ich bin ein engagierter Europäer und bleibe das auch weiterhin. Ich fühle mich Boris Johnson absolut nicht verbunden. Allerdings scheinen die meisten Politiker nicht viel Persönlichkeit zu haben, insofern verstehe ich, warum die Leute auf ihn stehen. Ich verstehe aber das britische Volk nicht; es scheint, als wären sie Masochisten. Wir haben die königliche Familie - die garantiert, dass uns ein Klassensystem erhalten bleibt, das alle privatschulgebildeten, reichen Männer unterstützt, die einfach nicht verstehen, was es bedeutet, kein Geld zu haben. Dies alles wird von den ärmeren Menschen gefördert (ich selbst komme aus einer armen Arbeiterfamilie). Sie stimmen also bereitwillig zu, unterdrückt zu werden. Eines Tages werde ich Großbritannien wohl verlassen und irgendwo in Europa leben.

Zurück zu Design und Typografie: Kann sich das Entwerfen eigener Schriftarten heutzutage noch auszahlen? Es gibt Tausende von Schriftarten im Web - wie kannst du da einen Unterschied machen?

J.B.: Es ist eine große Investition, eine neue Schrift zu entwerfen. Ich mache das eher selten, da der Zeitaufwand, der für die Erstellung einer Schrift benötigt wird, die für Text verwendet werden kann und alle Zeichen für verschiedene Sprachen enthält - alle richtig verteilt und gezeichnet - sehr groß werden kann. Das einzige Mal, dass ich es kürzlich getan habe, war als Teil einer Markenidentität, konkret für ein Bowie-Album - ich habe eine neue Schriftart für „The next day“ gezeichnet, weil ich wollte, dass sie Teil der „Neuheit“ der Veröffentlichung ist.

Welchen Rat würdest du einem Neuling in der Branche geben?

J.B.: Ich habe keine Ahnung! „Sei unvernünftig, denke nicht zu viel nach, versuche, die Welt zu verändern“ ist wahrscheinlich so gut wie alles andere. Wenn du die Arbeit machen kannst, die du wirklich tun willst, bist du auch bereit, mehr Risiken dafür einzugehen. Du hast nur dieses eine Leben.

Letzte Frage: Familie, Hobbys, Beruf, Berufung - was sind deine Prioritäten und was können wir als nächstes von dir erwarten?

J.B.: Ich bin 54, also kann ich ehrlich gesagt das Ende meines Lebens näherkommen sehen. Ich bin immer noch motiviert, gute Arbeit zu leisten, aber ich möchte, dass es mehr zu meinen Bedingungen geschieht. Grafikdesigner zu sein ist schwierig, die Leute sehen dich eher als „Dienstleistung“ denn als Künstler - ich würde mir künftig ein bisschen mehr Verständnis von Leuten wünschen, die wissen, was ich tue. Zweitens hätte ich gern etwas mehr Zeit, um mich auf meine andere Liebe zu konzentrieren, die elektronische Musik. Aus diesem Grund bin ich in erster Linie Grafikdesigner geworden - ich sah die Plattencover von Bands wie Kraftwerk. Der Freiraum, dies zu tun und es mit Design zu mischen, ist also das Ultimative. Ich habe gerade mit der Veröffentlichung des ersten Albums unserer Band Fragile Self begonnen - www.fragileself.com.

Jonathan, vielen Dank für das Interview!

Adbusters: First Things First: Jonathan Barnbrook war einer der ursprünglichen Unterzeichner des überarbeiteten First Things First-Manifests, das im Jahr 2000 von Adbusters neu aufgelegt und von 33 führenden visuellen Kommunikatoren unterzeichnet wurde. Das Original wurde 1964 von Ken Garland geschrieben. Das Manifest forderte aussagekräftiges Design und hinterfragt die Rolle von Designern in der Gesellschaft. Barnbrook entwarf die Ausgabe 37 von Adbusters 'Design Anarchy' und schloss mehrere andere damit verbundene Arbeiten ab, in denen die Themen des Manifests einschließlich dieser Werbetafel erörtert wurden. Dies wurde in Las Vegas anlässlich der AIGA-Konferenz (American Institute of Graphic Arts) durchgeführt. Auf der Werbetafel steht: „Designer, haltet euch von Unternehmen fern, die möchten, dass ihr für sie lügt“ - Ein Zitat von Tibor Kalman.

North Korea: Series I – Building the Brand: Ein Projekt, das für ein südkoreanisches Designmagazin zu Themen rund um die Diktatur Nordkoreas abgeschlossen wurde. Die Arbeit kritisiert das Regime nicht nur, sondern vergleicht es mit unseren eigenen Vorstellungen von Freiheit im Westen. Das Projekt versuchte auch, Hoffnung hinsichtlich der Macht, die Individuen über Diktaturen haben, zu vermitteln.

https://barnbrook.net/

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