P3 7-8/2021 de

Interview mit Vera Goldschmidt

„Ehrlichkeit gegenüber den Kunden ist extrem wichtig“

Brancheninterview

Wie sie es wagen könnten, unter solch unvorhersehbaren Umständen viel Geld in einen Neubau und eine maschinelle Umstellung zu investieren, war eine Frage, welche die Mitarbeiter der Druckerei Goldschmidt im emsländischen Werlte  im ersten Jahr der Pandemie häufig zu hören bekamen. Doch die Maßnahmen waren von langer Hand geplant und verfolgten Ziele, die durchaus zur veränderten Situation passten. Im Interview erzählt Vera Goldschmidt, in dritter Generation Geschäftsführerin des Unternehmens, über Hintergründe, Vorbehalte, sowie Ausrichtung und Umstrukturierung in einem wirtschaftlich zunehmend herausfordernden Umfeld.

Frau Goldschmidt, beginnen wir am Anfang: Erzählen Sie uns doch etwas über die Geschichte der Druckerei, bitte.

„Ruckzuck – Goldschmidt Druck“ lautete damals der griffige Werbeslogan, den sich mein Großvater Emil Goldschmidt ausgedacht hatte. Gegründet hatte er die Firma im Jahr 1950 in Werlte. Er war Buchdrucker und Schriftsetzermeister und fing mit einer kleinen Maschine im Hinterhof an, dazu gehörte ein Bücher- und Schreibwarengeschäft. Langsam wuchs das Geschäft, und als mein Vater Wilhelm Goldschmidt in den 70er Jahren in die Firma einstieg, wurde ein Neubau im Industriegebiet bezogen. Unter seiner Leitung entwickelte sich die Druckerei zu einem aufstrebenden, mittelständischen Unternehmen. In den 1990er Jahren baute er in Schwerin einen weiteren Standort auf, den wir noch heute dort betreiben. Im Jahr 2003 kam durch die Übernahme der „Van Acken Druck GmbH” in Lingen ein Standort im Emsland hinzu.

Meine Laufbahn in unserem Familienunternehmen begann 2013. Seit Januar 2016 bin ich Geschäftsführerin, gemeinsam mit meinem Vater. Ich stelle also nun die 3. Generation dar. Im April 2021 haben wir einen modernen Neubau in Werlte bezogen, der die beiden emsländischen Standorte zusammenfasst. Wir sind eine vollstufige Druckerei mit Medienabteilung, Offset- und Digitaldruck und einer Werbetechnikabteilung. Wir beliefern hauptsächlich Kunden im B2B Bereich, haben jedoch auch einen Zweig für Privatkunden.

Wie sieht aktuell das Portfolio der Druckerei aus und wo sehen Sie besondere Stärken gegenüber dem Mitbewerb?

Wir sind extrem breit aufgestellt, im Grunde liefern wir unseren Kunden so ziemlich alles, was druck- oder bedruckbar ist. Nach dem Motto „Geht nicht, gibt’s nicht“ beliefern wir den Kunden ganzheitlich, ob es nun Drucksachen, Werbemittel oder Produkte aus der Werbetechnik sind. Die Kunden erhalten bei uns eine gute und ehrliche Beratung und finden in uns einen Ansprechpartner, bei dem sie fast alles im Printbereich beziehen können. Wir sind dem Kunden gegenüber sehr flexibel, so dass wir schnell und zuverlässig reagieren können.

Die Pandemie hat vieles auf den Kopf gestellt, was vorher selbstverständlich erschien, und insbesondere die Druckbranche hart getroffen. Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten zwei Jahren sammeln können und wie sind Sie damit umgegangen?

Auch wir hatten mit Umsatzeinbußen zu kämpfen, insbesondere Werbemaßnahmen und Programmhefte für Veranstaltungen, Drucksachen für Messen oder Einladungen von Privatkunden sind fast vollständig weggebrochen. Daher bin ich sehr froh darüber, dass wir gerade in dieser Zeit unsere Firma stark umstrukturiert haben. Dieser Schritt war bereits seit 2017 in Planung und wurde ab Anfang 2020 umgesetzt. Kern dieser Maßnahmen war unser Neubau in Werlte, der die Produktion aus beiden Häusern (Werlte und Lingen) zusammenfassen sollte. Baubeginn war April 2020, also genau im ersten Lockdown. Wir wurden häufiger darauf angesprochen, wie wir es wagen könnten, in solchen Zeiten viel Geld in einen Neubau zu investieren, da die allgemeine Lage doch so unüberschaubar und unvorhersehbar sei. Im Nachhinein betrachtet, war es genau richtig, das Projekt durchzuziehen. Würden wir jetzt mit einem Bau beginnen, müssten wir mit deutlich mehr Kosten und längerer Bauzeit rechnen. Außerdem hatte wir den Bau ja aus triftigen Gründen angestrebt: Einsparung von Kosten durch die Zusammenlegung von zwei Produktionsstätten (Pachten, Energiekosten), daraus folgt auch ein besserer Workflow und eine klarere Übersicht. Nach genau einem Jahr Bauzeit konnten wir umziehen. Ich bin mir zu 100% sicher, dass das genau die richtige Entscheidung und der perfekte Zeitpunkt war.

Mit dem entsprechend getrübten wirtschaftlichen Ausblick vor Augen hat die Druckerei in eine Jet Press 750S von Fujifilm investiert (siehe http://www.p3-news.com/De/News/20850). Das klingt nach einer ungewöhnlichen, wenn nicht sogar mutigen Entscheidung. Was waren die Gründe für die Investition und gab es auch „Gegenstimmen“?

Neben dem Neubau gehörte zu unserer Umstrukturierungsmaßnahme auch eine maschinelle Umstellung. Am Standort Lingen haben wir unter anderem eine Offsetmaschine im B1-Format betrieben. Diese konnten wir aber schon länger nicht mehr richtig auslasten, da der Trend zu kleineren Auflagen, dafür aber zu variableren und variantenreicheren Drucksachen bereits seit mehreren Jahren auf dem Vormarsch ist. Wir haben uns dazu entschieden, die große Offsetmaschine zu verkaufen und dafür in ein neues Digitalsystem im B2-Format zu investieren, um uns den Bedürfnissen unserer Kunden besser anpassen zu können.

Selbstverständlich gab es Gegenstimmen oder zumindest Vorbehalte. Mein Vater hat sich anfangs etwas schwer getan, sich von der Maschine zu trennen, was ich auch gut nachvollziehen kann. Er hatte viel Geld investiert und war stolz auf die Maschine, mit deren Format wir die einzige Druckerei in unserer Region waren. Jedoch war er neuen Technologien gegenüber immer sehr aufgeschlossen und erkannte schnell die Vorteile eines neuen Digitaldrucksystems. Wir haben die Entscheidung gemeinsam getroffen und haben auch andere Mitarbeiter miteinbezogen. Jetzt stehen wir alle voll hinter der neuen Maschine.

Wurden Konkurrenzprodukte in Erwägung gezogen? Was gab letztlich den Ausschlag?

Natürlich haben wir uns alle vergleichbaren Digitaldruckmaschinen im B2-Format auf dem Markt genau angeschaut. Das Angebot ist ja eher überschaubar. Ausschlaggebend für unsere Entscheidung zur Jetpress war die Kombination aus Qualität, Preis und Nachhaltigkeitsgründen. Diese bezieht sich auf die wasserbasierenden Tinten, die nachweislich besser de-inkbar sind als die Wettbewerbsprodukte. Auch die gute Zusammenarbeit mit Fujifilm hat uns gut gefallen. Wir wurden eng begleitet und es formte sich eine faire Partnerschaft.

Gab es zu irgendeinem Zeitpunkt die Befürchtung, der Schuss könne auch nach hinten losgehen?

Im Vorfeld macht man sich sicherlich viele Gedanken darüber, ob die Entscheidungen, die man trifft, so richtig sind oder welche Probleme auftauchen könnten. Ganz entscheidend war, die beteiligten Mitarbeiter einzubeziehen, sich ihre Meinung anzuhören und ihnen nicht einfach eine Maschine vor die Nase zu setzen. Wir haben rechtzeitig vorher mit Kollegen gesprochen, ob sie sich überhaupt vorstellen könnten, an einem solchen Digitaldrucksystem zu arbeiten. Im Prinzip ist Digitaldruck nichts Neues für uns, wir arbeiten schon seit über 20 Jahren damit. Die Inkjettechnologie und das Fabrikat sind aber sehr wohl etwas Neues für uns, worauf die Mitarbeiter erst geschult werden mussten.

Nach mehreren Gesprächen und Besichtigungen der Maschine in einer anderen Druckerei kristallisierte sich sehr schnell heraus, dass einer unserer erfahrenen Offsetdrucker, der vorher an der großen Maschine gearbeitet hatte, sehr aufgeschlossen der neuen Technologie gegenüber war. Ein weiterer, sehr junger Kollege aus der Medienabteilung begeisterte sich ebenfalls dafür. Nun bedienen zwei Kollegen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund und aus zwei völlig anderen Generationsstufen die Maschine mit viel Engagement und ergänzen sich prima.

Inzwischen gibt es neue Herausforderungen, die zu umschiffen sind: Papiermangel, insbesondere im Bereich der grafischen Papiere, steigende Energie- und Frachtkosten, Probleme mit der Zuverlässigkeit der Lieferketten … Wie lässt sich eine solche Situation Ihrer Meinung nach am Besten bewältigen? Und: Wieviel Ehrlichkeit vertragen die Kunden?

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als das Beste aus der Situation zu machen. Wir müssen akzeptieren, dass der Markt sich wandelt, uns darauf einstellen und unsere Kunden sensibilisieren, damit sie den Weg mitgehen.

Gerade in einer solch schwierigen Situation ist Ehrlichkeit gegenüber den Kunden extrem wichtig. Dadurch, dass die steigenden Papierpreise und Lieferverzögerungen Vielen durch die Presse bekannt sind, oder auch dass es in sehr vielen Branchen ähnliche Probleme gibt, haben die meisten Kunden Verständnis für höhere Kosten. Wir weisen unsere Kunden bei Angebotsabgabe oder bei der Bestellung sofort darauf hin, dass sie mit höheren Preisen und mit längeren Lieferzeiten zu rechnen haben, dann ist die Akzeptanz deutlich höher. Ich bin manchmal erstaunt, wie wenig Widerstand es allgemein dagegen gibt, wahrscheinlich liegt es daran, dass zur Zeit viele Dinge teurer werden.

„Print wird teurer“ – das war eine der Kernaussagen der Jahresabschlusssitzung der Vorstandschaft des Verbandes Druck und Medien Bayern. Ist das aus Ihrer Sicht ein problematisches, aber nachvollziehbares Fazit?

Ja, das ist leider die logische Konsequenz aus diesen Faktoren. Die Gefahr dabei ist groß, dass Kunden sich gründlich überlegen, ob sie ihre Drucksachen überhaupt noch produzieren lassen, oder ob sie eher auf die Digitalisierung setzen. Dadurch verliert unsere Branche weiter an Volumen. Das wurde durch die Pandemie noch einmal extrem verstärkt.

Doch glaube ich auch daran, dass man in einer solchen Krise Chancen sehen kann. Vielleicht wird weniger gedruckt werden, aber dafür bewusster. Ich setze darauf, dass Kunden zukünftig mehr Wert auf Individualität, Qualität und Besonderheiten legen, eher speziellere Papiere wählen und kleinere Auflagen wünschen. Auch der Aspekt des nachhaltigen Druckens spielt eine immer größere Rolle. Wir sind FSC-zertifiziert, drucken klimaneutral, erzeugen Strom aus der eigenen Photovoltaikanlage, nutzen die Abwärme der Maschinen und haben unsere Makulatur durch die Umstellung auf Digitaldruck stark verringert.

Genau darauf haben wir uns eingestellt, so dass ich uns für die Zukunft gut gerüstet sehe.

Frau Goldschmidt, herzlichen Dank für das Gespräch!

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