P3 5-6/2021 de

Paetrick Schmidt

„Ich liebe es, Bilder zu inszenieren.“

Paper & People

Auf seine - durchaus übliche - Frage, wie lange er für die Beantwortung der Fragen noch Zeit habe, kann ich Paetrick Schmidt in Berlin beruhigen: Es eilt noch nicht. Die Antwort allerdings bekommt man in der Redaktion nicht ganz so oft zu hören: „Vielen Dank“, sagt der diplomierte Designer, dessen Referenzliste unter anderem Greenpeace, Spiegel, Focus, Burda und Ogilvy umfasst, „dann kann ich noch mehr Gedanken für die Antworten entwickeln.“ Donnerwetter, da gibt sich jemand Mühe. Diese Liebe zum Detail spiegelt sich auch in seinen nicht ganz alltäglichen Arbeiten wider, wie das nebenstehende Selbstportrait anschaulich illustriert.

Paetrick, du bist bekannt für taktile und grafische Illustrationen, die du hauptsächlich auf der Basis von Papier und Karton fertigst. Erzähl uns deinen Werdegang – was ist der Antrieb, um dahin zu gelangen, wo du jetzt bist?

Paetrick Schmidt: Während meines Kommunikationsdesign-Studiums fiel es mir in der Klasse für Illustration schwer, für einen Comic Szenerien aus verschiedenen Perspektiven zu zeichnen. Intuitiv fertigte ich Modelle aus Papier und Karton an, die mir als Zeichenhilfe dienten. Als ich eine stattliche Kollektion beisammen hatte, kam mir die Idee, dass ich mit ihnen ebenfalls illustrativ umgehen könnte. Durch die Nutzung als modulare Bausteine hatte ich damit auch die Möglichkeit gefunden, immer wieder neue Bilder zusammenzustellen, die ich fortan fotografisch festhielt.

Es ist schön zu sehen, wie mein Universum wächst, und jede neu geschaffene Figur erweitert mein Bühnenpersonal. Wenn sie nach einer Kunstausstellung verkauft ihrer Wege gehen, hilft mir der Gedanke, dass ich sie alle auf Dauer nicht beherbergen kann, über den Trennungsschmerz hinweg.

Was ist für dich das Faszinierende im Umgang mit Papier bzw. Karton?

PS: Das Materielle und die Fülle an Varianten faszinieren mich enorm. Jedes für sich, ob dünnes Kopierpapier, Wellpappe oder fester Buchbinderkarton, hat seine individuellen Merkmale und Verwendungseigenschaften. Auf Papier und Karton lässt sich hervorragend Farbe anbringen. Tonpapier setze ich zwar auch ein, aber meistens bestimme ich das Kolorit durch die gezielte Bemalung. Durch Falten, Reißen und Schneiden lassen sich Papier und Karton leicht formen und können mit Kleber unkompliziert verbunden werden. Die Heißklebepistole steckt bei der Arbeit immer griffbereit im Holster.

Könntest du dir vorstellen, auch rein digital zu arbeiten? Die Möglichkeiten in der digitalen Gestaltung sind ja immens und – so scheint es – auch immer leichter zu handhaben …

PS: Da bin ich zwiegespalten. Eventuell in einer Zukunft, in der die Technologie soweit fortgeschritten ist, dass sich das Virtuelle in vollem Umfang der Empfindungen nicht mehr von der Realität unterscheidet. Dass wir uns in diese Richtung bewegen, zeichnet sich in meinen Augen ab.

Ich nutze Computer zum gestalterischen Arbeiten nun seit fast 30 Jahren. Meine Initiation erlebte ich in meiner Kinderstube auf einem Amiga 500 mit der Deluxe Paint Software. Mit Photoshop und Co und dem Zeichnen auf Tablets bin ich schon sehr lange vertraut und begeistere mich für die fortschreitende Entwicklung. Mein vor kurzem angeschafftes iPad Pro vereinnahmt mich derzeit in hohem Maße. Es ist schon toll, wie komfortabel es sich mit Apps wie Procreate zeichnen lässt.

Trotzdem erlebe ich immer noch die höchste Zufriedenheit beim handwerklichen Umgang mit taktilem Material. Die schnell hingeworfene Skizze auf Papier ist für mich das Fundament aller Ideenfindungsprozesse. Eine gleichzeitige Sichtbarkeit von Werkstücken ist zudem ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber digitalen Werken.

In den Medien wird heutzutage gerne suggeriert, dass jeder alles können und erreichen kann, ohne sich übermäßig anstrengen zu müssen. Vielfach verbirgt sich dahinter kaum mehr als ein Angriff auf’s Portemonnaie. Was hebt einen guten, langfristig erfolgreichen Künstler von der breiten Masse ab – die Fähigkeit zur Inspiration oder die Qualität der Ausbildung?

PS: Eine These des Psychologen Anders Ericsson besagt, dass wir 10.000 Stunden brauchen, um Meister oder Meisterin unseres Faches zu werden. Angenommen, wir wären täglich 8 Stunden tätig, dann wären die 10.000 Stunden in circa 3,5 Jahren erreicht. Was nützt aber diese Rechnung, wenn die Beschäftigung selbst nicht von Begeisterung getragen wird? Ohne sie ist es tatsächlich nur Anstrengung, getrieben von Erwartungen. Im Zustand der Begeisterung, die durch Inspiration geweckt werden kann, existieren allerdings weder ein Maß für Zeit noch ein Bewusstsein für Erfolg. Das Glück finden wir in der Spontanität des Erschaffens und Lernens, egal, in welchem Lebensalter.

Auch über die Kunst hinaus gedacht: wenn jeder alles könnte, wären wir nicht mehr aufeinander angewiesen. Das wäre äußerst schade, denn Gemeinschaft entsteht, indem wir uns in unseren individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten ergänzen. Als Dozent versuche ich, diese Haltung den Studierenden zu vermitteln.

Ich würde gerne die Plaketten an den Pioneer-Sonden austauschen.

Paetrick Schmidt

Welche Themen greifst du in deiner Arbeit auf und wann bist du mit einem Ergebnis zufrieden?

PS: Grundsätzlich bin ich offen für alle erdenklichen Themenbereiche. Die Herausforderung besteht darin, auf eine thematische Fragestellung angemessene Antworten zu finden. Es stimmt mich zufrieden, wenn ich diese dann zum Betrachter emotional und in grafisch möglichst knapper, pointierter Form transportieren kann.

Was ist für dich ausschlaggebend, um ein neues Projektangebot anzunehmen? Oder umgekehrt: Welche Art von Anfragen reizt dich überhaupt nicht?

PS: Bei den angewandten Arbeiten muss ich von dem Projekt bzw. dem Produkt einigermaßen überzeugt sein. Das war bisher in nahezu allen Fällen so. Ich erinnere mich lediglich an eine Situation – da ging es bei der Anfrage um eine Greenwashing-Kampagne für eine bekannte Automarke. Trotz Zweifeln stürzte ich mich in das Projekt, war dann aber froh, als der Zuschlag zur endgültigen Umsetzung an eine andere Agentur ging.

Was steckt hinter deinen Painted Songs?

PS: Mein Musikkonsum wandelte sich von physischen Tonträgern zu digitalen Dateien und Online-Streams. Mir fehlt die tiefere Bindung zum Musikstück, die durch haptischen Kontakt zum materiell fassbaren Tonmedium entsteht. Aus diesem Grund „notiere“ ich meine nur digital bekannten Lieblingssongs seit etwa 6 Jahren in Form von Malerei und Collagen. Alle bisher entstandenen Werke haben in Anspielung auf das klassische Plattencover ein quadratisches Format mit einem Maß von 40 mal 40 cm. Derzeit sind es circa 250 Exemplare. Bei den Bildträgern handelt es sich übrigens meistens um die Resteverwertung von Karton und Papier anderer Arbeiten. Ich fühle mich bei diesem Projekt unendlich frei, da der konzeptuelle Rahmen über die Zugehörigkeit zur Sammlung jede noch so bescheiden ausfallende Umsetzung legitimiert.

Das Portfolio reicht von Dusty Springfield und Frankie Valli über Kate Bush und Nils Frahm bis hin zu Portishead und Aphex Twin. Gibt es Musik, die dich nicht fesselt bzw. zu der du nicht kreativ sein könntest?

PS: Oh ja, jede Menge. Nur ein Bruchteil der Musik, der ich – wo auch immer – begegne, löst bei mir eine Resonanz aus und bleibt bei mir. Warum Musik resoniert, kann verschiedene Gründe haben, z.B. der packende Rhythmus und/oder ein ansprechender Text, etc. Wenn sie es nicht tut, kann das auch schlicht daran liegen, dass ich im Moment des Hörens nicht ausreichend aufnahmefähig bin.

Du befasst dich auch viel mit Fotografie …

PS: Ich liebe es, Bilder zu inszenieren. Egal. ob es sich um einen Auflauf meines handwerklich geschaffenen Puppenvolkes handelt, oder ob ich Personen in Maskerade in einer Requisitenstaffage platziere – es ist die Fotografie, mit der ich die Inszenierung bildlich festhalte. Sie bietet eine umfangreiche Gestaltungsvielfalt, die ich reizvoll finde. Auf das fotografische Ergebnis hat z.B. die Ausleuchtung einen großen Einfluss. Gelegentlich bediene ich mich für filmische Projekte der Stoptrick-Animationstechnik, die natürlich ebenso den fotografischen Gesetzmässigkeiten unterworfen ist.

Gibt es ein Projekt, das du unbedingt machen möchtest, das aber bisher – aus welchen Gründen auch immer – nicht zustande kam?

PS: Nein, wenn mir ein Projekt einfällt, hält mich nichts auf, es in die Tat umzusetzen.

Halt, eine einzige Ausnahme existiert! Ich würde gerne die Plaketten an den Pioneer-Sonden austauschen. Auf meinen würde auch die Frau ihren Arm zum Gruß der Aliens heben, wie der neben ihr abgebildete Mann. Diese Darstellung benötigt ein zeitgemäßes Update.

Hast du einen Rat, den du jungen, aufstrebenden Künstlern oder Talenten mit auf den Weg geben möchtest?

PS: Solidarisiert euch! Beteiligt euch an Kunstinitiativen, Ausstellungsgemeinschaften, Kunstvereinen, etc. Je älter ich werde, umso deutlicher wird mir der Wert der kollegialen Gemeinschaft bewußt. Gemeinsam ist man stark.

Und zum Schluss: Wie heißt in deinem Monopoly die Schlossallee?

PS: Home sweet Home und Abwechslung pur; die Gleimstrasse im Brunnenviertel Berlin.

Paetrick, vielen Dank für das Gespräch!

PS: Ich danke für die interessanten Fragen.

www.paetrickschmidt.de

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