P3 1-2/2022 de

Existenz und Anonymität

Paper & People

Die letzten Monate bzw. Jahre waren keine leichte Zeit - insbesondere nicht für Kunstschaffende, die sich plötzlich mit abgesagten Veranstaltungen, geschlossenen Museen und Galerien, verschobenen Projekten und - nicht selten - ganz und gar existenziellen Fragen konfrontiert sahen. Auch der in Berlin lebende und arbeitende Künstler Wilhelm Beestermoeller hat diese Erfahrungen gemacht. „Ich hatte schon gedacht“, schreibt er, da ich für die Ausarbeitung der Fragen länger brauche, als geplant, „dass auch dieses Projekt nicht realisiert wird - wie leider enttäuschenderweise so vieles in den mittlerweile zwei letzten Jahren.“ Dann aber klappt es; während ein schwerer Sturm durch die leeren Straßen Berlins fegt, bekomme ich aus dem Wohn- und Arbeitsraum in der Wiener Straße, gewissermaßen „aus dem Auge des Orkans“, das erhoffte Dokument, in dem Wilhelm Beestermoeller versucht, die gestellten Fragen „so zu beantworten, dass meine künstlerische Intention möglichst transparent wird.“ Erschwert wird die Aufgabenstellung zusätzlich dadurch, dass die Bildauswahl bei limitiertem Platz noch nicht einmal ansatzweise dem umfangreichen Œuvre gerecht werden kann. Dem geneigten Leser sei die Webseite des Künstlers daher wärmstens ans Herz gelegt.

Herr Beestermoeller, fangen wir vorne an: Was war Ihr beruflicher Werdegang und wie kamen Sie dahin, wo Sie heute stehen?

Nach meinem Studium und meiner Ausbildung in Münster gab es keinen direkten Weg, den es aber, glaube ich, als Künstler ohnehin nicht gibt. Man findet nach Erfolgen, Rückschlägen und ständigen Zweifeln seine sehr individuelle Nische, verbunden mit der Überzeugung, das Richtige zu tun.

Wie sieht Ihr Arbeitsplatz aus und mit welchen Materialien und Techniken arbeiten Sie am liebsten?

Es gibt kein separates Atelier, das Zusammengehen von Wohnen und Arbeiten ist für mich wichtig. So setze ich mich bewusst oder unbewusst ständig mit meiner Arbeit auseinander.

Fotoüberarbeitungen und Drucktechniken sind seit vielen Jahren meine bevorzugten Techniken. Damit versuche ich, meine Ausdrucksform weiter zu entwickeln. Eine Beschränkung, was Thema, Technik und Ausdrucksform angeht, kommt für mich nicht in Frage.

„Oft greife ich nach Jahren wieder auf Werkblöcke zurück – auch wenn sie bereits abgeschlossen schienen.“

Wilhelm Beestermoeller

Fotografie, Malerei, Architektur, Collage: Betrachtet man die gezeigten Arbeiten auf Ihrer Webseite, fällt zunächst die Vielfalt ins Auge. Haben Sie einen bevorzugten Ausgangspunkt? Was ist Ihr Antrieb, damit ein neues Werk entstehen kann?

Bestimmte Themen haben sich im Laufe meiner künstlerischen Entwicklung herauskristallisiert. Das können Situationen sein, die allgemein gesellschaftlich eine Rolle spielen, aber auch in meiner individuellen Realität ihren Ursprung haben. Wichtig sind da eher nicht wirklich real greifbare Begrifflichkeiten wie z.B. Konzentration, Einengung, Lösung, Existenz und Anonymität.

Grundsätzlich arbeite ich in Blöcken, sowohl zeitlich als auch als Ergebnis. Sehr produktive Arbeitsphasen, in denen ich „Bildideen“ komplett malerisch/zeichnerisch ausdiskutiere, enden in einer völligen Leere. Oft greife ich nach Jahren wieder auf Werkblöcke zurück – auch wenn sie bereits abgeschlossen schienen.

Woraus schöpfen Sie kreative Energie bzw. wie laden Sie den „Akku“ auf?

Um diese Leere aufzufüllen, versuche ich, möglichst viele Eindrücke zu gewinnen – Museen, Menschen, die Stadt, aber auch die wohltuende Erfahrung in der Natur – aber eigentlich brauche ich einfach nur Zeit, um einen Weg zu finden, wie es weitergehen könnte.

Mit Blick auf Ihre Porträts: Welche Bedeutung hat Identität für Ihre Arbeiten?

Abgesehen vom rein ästhetischen Reiz, den der Kontrast zwischen Foto und monochromer, organisch geformter Farbfläche darstellt, spielt der Gedanke, was die individuelle Persönlichkeit ausmacht, eine große Rolle. Wichtig an der Anfangsserie war mir, dass es sich ausschließlich um Personen meines direkten Umfeldes handelt. Später sind es dann Portraits aus dem Netz geworden, die eine gewisse Präsenz in unserem gesellschaftlichen und politischen Diskurs beanspruchen.

Die Liste Ihrer Ausstellungen ist lang. Gehört Feedback von Betrachtern oder Freunden zu den Dingen, die Sie an sich heranlassen, oder fühlen Sie sich als Künstler unbeeinflussbar dem „inneren Zwang“ verpflichtet?

Nach langen Arbeitsphasen verliere ich oft die Distanz zu meinen Arbeiten, dann sind mir Gespräche wichtig, um wieder einen Zugang zu finden und um mich zu überprüfen: ob der Kontext funktioniert, ob ich evtl. zu wenig oder zu viel eingeriffen habe und ob es im Ansatz nachvollziebar ist. Grundsätzliche Entscheidungen sind dadurch aber nicht betroffen.

Sehr wichtig sind dann Austellungen, in denen die Bilder außerhalb des Ateliers eine andere Präsenz beanspruchen, verbunden mit der Frage, ob sie sich in der Situation sowohl im Raum als auch beim Betrachter behaupten können. Ebenfalls spannend ist die Wirkung in privateren Umfeldern wie z.B. in Büros oder mehr noch in Wohnungen.

„Die Zeit der Pandemie bedeutete für mich ein Überdenken meiner Existenz als Künstler.“

Wilhelm Beestermoeller

Die letzten Jahre waren nicht einfach und haben insbesondere der Kunst sicher geschadet. Veranstaltungen konnten nicht stattfinden, Museen und Galerien waren geschlossen oder in den Besucherzahlen limitiert, Ausstellungen wurden abgesagt oder waren gar nicht erst finanzierbar. Von einer Entspannung oder gar Erholung kann noch keine Rede sein. Wie haben Sie die Pandemie erlebt und welche Folgen wird sie Ihres Erachtens insbesondere in der Kunstszene zeitigen?

Die Zeit der Pandemie bedeutete für mich ein Überdenken meiner Existenz als Künstler. In Anbetracht des Scheiterns sämtlicher Ausstellungen und aller angedachten Projekte stellte sich die Frage nach einer Neuorientierung und des Infragestellens der gesamten existenziellen Situation. Während dieser Zeit habe ich einen Teil meiner Arbeiten zu reinen Bilderbüchern zusammengefasst, in denen ich mich mit unserer gesellschaftlichen Realität und meiner eigenen Befindlichkeit auseinandersetze.

Haben Künstler in Ihren Augen heutzutage (noch) eine Verpflichtung zur politischen und gesellschaftlichen Stellungnahme?

Von einer Verpflichtung würde ich nicht ausgehen – lange habe ich sehr bewusst versucht, den Aspekt auszublenden, kann mich aber seit einigen Jahren kaum entziehen – was mir aber erst retrospektiv klar wurde. Ich wollte eine intellektuelle Vorleistung möglichst vermeiden, da ich es eher als Einengung empfand. Wobei die Verweigerung ja auch einen politischen Aspekt beinhaltet.

Fußball lässt sich als ein Schwerpunkt in Ihrem Wirken ausmachen. Sportliche Leidenschaft oder künstlerisches Interesse?

Die ersten Arbeiten zu diesem Thema entstanden in den frühen Achtzigern. Auf  Malerei-Bahnen (ca. 1,50 m x ca. 10 m) thematisierte ich Eishockey. Dabei interessiert mich der sportliche Aspekt weniger als die Choreografie im superschnellen Wechsel in Verbindung mit den streng grafischen Elementen des Spielfeldes, die plakative Farbigkeit in Verbindung mit typografischen Elementen auf Trikot, Bande und Transparenten. Im Gegensatz zu der Phase arbeite ich heute ausschließlich mit manipulierten Fotovorlagen.

Sie können Bilderserien in Acryl sowohl für den BVB als auch für Schalke 04 vorweisen. Der erste Gedanke: So etwas tut man nicht. Wollten Sie provozieren oder bewusst Gegensätze vereinen? Und: Wann kommt der HSV?

Der überwiegende Teil dieser Malereien lässt sich nicht einem bestimmten Verein zuordnen. Die Entscheidungen, eine Serie für bestimmte Vereine zu realisieren (St. Pauli, Freiburg, BVB, Schalke, Bayern München, Union Berlin und auch HSV) sind schlicht den Vorlieben eines Teils meines Freundeskreises zu verdanken.

Zum Abschluss eine Frage, die ich gerne stelle: Wie heißt in Ihrem Monopoly die Schlossallee?

Die Pannierstrasse – ich liebe Schnitzel!

Herr Beestermoeller, vielen Dank für das Gespräch!

www.beestermoeller.com

 Inhalt