P3 5-6/2021 de

BG ETEM

Psychische Gesundheit im Unternehmen

Bildung & Beruf

Psychische Gesundheit war schon vor Corona ein Thema im Betrieb. Doch in Zeiten der Pandemie werden die Fragen von Führungskräften und Mitarbeitenden gravierender. Im Interview mit P3 / Druckspiegel spricht Jella Heptner, Arbeitspsychologin bei der BG ETEM.

Frau Heptner, Studien haben gezeigt, dass psychische Belastungen – arbeitsbedingte wie private – im Zuge der Pandemie stark zugenommen haben. Geht es dabei „nur“ um ein erhöhtes Aufkommen, oder bringen auch die Situationen und Krankheitsbilder neue Herausforderungen mit sich, die in der Form bislang nicht oder kaum auftraten? Ist das medizinische bzw. betreuende Personal ausreichend gut aufgestellt?

Jella Heptner: Manche Belastungen haben sich durch die Pandemie verändert, z. B. die Arbeitsmenge, manche sind ganz neuer Art, z.B. die Vielzahl an Videokonferenzen oder die Ungewissheit darüber, ob die Kinder in den nächsten Wochen zur Schule gehen können. Auch haben wir nicht immer die Bewältigungsmöglichkeiten, mit denen wir sonst die Belastungen abfedern. So ist der direkte Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen oder zu Freunden beschränkt, was für viele eine wichtige Kraftquelle ist. Von daher ist die Situation in der Pandemie eine Ausnahmesituation. Betriebsärztinnen, Psychotherapeuten oder Beraterinnen von Mitarbeiterberatungen können sich auf die individuelle Situation der einzelnen Beschäftigten einstellen und sie im Umgang damit unterstützen.

Was können Führungskräfte tun, um psychischen Belastungen vorzubeugen?

Heptner: Führungskräfte sind wichtige Treiber für die Gestaltung gesunder Arbeitsbedingungen in ihrem Team. Ein hilfreiches Instrument dafür ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, mit der die Arbeitssituation unter die Lupe genommen und Verbesserungen auf den Weg gebracht werden. Wichtig ist es, regelmäßig mit dem Team darüber im Austausch zu sein: Wer hat gerade wie viel zu tun? Was läuft gut, was läuft nicht rund? Das kann zum Beispiel in Teambesprechungen erfolgen, am besten als erster Punkt, damit er nicht hinten rüber fällt.

Längst nicht alle psychischen Beeinträchtigungen sind arbeitsbedingt. Auch hier gilt: Ein offenes Ohr für die Mitarbeitenden zu haben bildet eine gute Grundlage, um zu erfahren, wie es ihnen geht und welche privaten Herausforderungen sie haben. Führungskräfte können dann schnell reagieren und mit dem oder der Mitarbeitenden besprechen, auf welche Weise sie unterstützen kann. Ist die Person beispielsweise durch die Pflege der eigenen Eltern beansprucht, dann können flexiblere Arbeitszeiten eine Lösung sein.

Wie merken Führungskräfte, dass Handlungsbedarf besteht?

Heptner: Wenn Führungskräfte regelmäßig mit ihren Mitarbeitenden im Austausch stehen und ein vertrauensvolles Miteinander herrscht, dann bekommen sie es womöglich von der betroffenen Person mitgeteilt. Aber auch auf nonverbaler Ebene lässt sich meist eine Veränderung feststellen: Zieht der oder die Mitarbeitende sich über Wochen verstärkt zurück, zeigt weniger Freude auf der Arbeit, reagiert häufiger aufgebracht oder ist weniger leistungsfähig, dann sind das Anhaltspunkte dafür, dass eine Person psychisch beeinträchtigt ist.

Wie merken Beschäftigte, dass sie Hilfe brauchen?

Heptner: Beschäftigte können ebenso an ihrem Verhalten merken, dass sie Hilfe brauchen, zum Beispiel, wenn sie vermehrt gereizt reagieren. Auf Ebene des Empfindens sind innerliche Leere, dauerhaftes Sich-gestresst-fühlen oder starke innerliche Unruhe Warnzeichen. Wenn Beschäftigte wahrnehmen, dass die Veränderung über Wochen andauert und sie selbst keinen Einfluss nehmen können, ist professioneller Rat sinnvoll.

Wo bekommen sie Hilfe?

Heptner: Größere Firmen bieten oft externe Mitarbeiterberatungen an, die für Beschäftigte niedrigschwellig nutzbar sind. Diese verweisen im Bedarf auch auf weitergehende Angebote und unterstützen bei der Vermittlung, z.B. zur Schuldnerberatung oder zu Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten. Ein Gespräch mit der Vertrauensperson im Betrieb kann auch schon entlastend sein.

Grundsätzlich ist der Hausarzt bzw. die Hausärztin eine gute Anlaufstelle und kann eine erste Einschätzung zur Symptomatik geben und an Fachstellen verweisen. Mittlerweile bietet auch alle Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten Sprechstunden an, die kurzfristig wahrnehmbar sind und einer ersten Einschätzung und Stabilisierung dienen.

Welche Rolle können Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Personalvertretungen bei dem Thema spielen?

Heptner: Stichwort Gefährdungsbeurteilung: Hier spielen Fachkräfte und Arbeitssicherheit und Personalvertretungen eine wichtige Rolle – in der Beratung der Führungskräfte beziehungsweise in der Mitgestaltung. Personalvertretungen können bei Wunsch der betroffenen Person auch Gespräche etwa mit der Führungskraft begleiten. Oder im Unternehmen anregen, mittels Schulungen die Führungskräfte für das Thema zu sensibilisieren und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, um mit der psychisch beeinträchtigten Person ins Gespräch zu kommen.

Gehen die Unternehmen und Betriebe in Deutschland aufgeschlossen mit der Thematik um, oder gibt es nach Ihrer Einschätzung noch Aufholbedarf?

Heptner: Das ist ganz unterschiedlich. Ob die betroffene Person im Betrieb offen über ihre psychische Beeinträchtigung reden kann, hängt nicht zuletzt vom direkten Arbeitsumfeld ab. Wie haben die Führungskraft und die Kolleginnen und Kollegen bisher über Themen der psychischen Gesundheit gesprochen? Auch wenn insgesamt eine zunehmende Aufgeschlossenheit erkennbar ist, gibt es noch Aufholbedarf. Deswegen haben wir auch die von mehreren Bundesministerien initiierte „Offensive Psychische Gesundheit“ in diesem Jahr unterstützt.

Wie kann man die Führungsebene – und das operative Management – eines Unternehmens erreichen und für die Thematik sensibilisieren?

Heptner: Führungskräfte haben in der Regel bereits Erfahrungen mit psychisch belasteten Mitarbeitenden gemacht, und viele würden sich wünschen, dafür besser gewappnet zu sein. Das Thema kommt immer wieder in unseren Mitgliedsbetrieben auf. Die Sensibilisierung für erste Anzeichen und die Befähigung zum Umgang mit psychisch beeinträchtigten Beschäftigten können z.B. gut in die Qualifizierung von angehenden Führungskräften eingebaut werden, aber natürlich sollten auch bestehende Führungskräfte davon profitieren können. Die DGUV-Information „Umgang mit psychisch beeinträchtigten Beschäftigten“ ist auch sehr empfehlenswert. Sie beinhaltet u.a. einen hilfreichen Gesprächsleitfaden, mit dem Führungskräfte das Gespräch mit einer betroffenen Person vorbereiten können.

Frau Heptner, vielen Dank für das Gespräch!

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