P3 1-2/2022 de

Offsetdruck

Das Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht mit maschinellem Lernen in den Griff bekommen

Forschung & Entwicklung

Das Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht beschreibt die im Offsetdruck auftretende stabile Emulsion von Druckfarbe und Feuchtmittel, welche maßgeblich die Qualität des Druckerzeugnisses bestimmt. Bei fehlerhafter Einstellung dieses Gleichgewichts im Prozess wird dieses allerdings bis heute manuell nachgestellt. Eine zuverlässige automatische Regelung hierfür existiert bis jetzt nicht. Dies liegt vor allem an der Komplexität der Aufgabe und der Vielzahl der wirkenden Einflussgrößen im Prozess, die es erheblich erschweren, eine Lösung über einen messtechnischen Ansatz zu entwickeln. Daher wurde im Oktober 2021 das vorwettbewerbliche Forschungsprojekt „Magie-KI“ gestartet, in dem mit einer Sensordatenfusion und der Methode des Maschinellen Lernens eine praxistaugliche Lösung für die Einhaltung des Farb-Feuchtmittel-Gleichgewichts entwickelt werden soll.

Hintergrund zum Offsetdruck und dem Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht

Die Technologie des Offsetdrucks ist den Flachdruckverfahren zugeordnet, bei denen die bildgebenden und die nicht-bildgebenden Bereiche im Gegensatz zum Hoch- oder Tiefdruck auf einer Ebene der Druckplatte liegen. Als Druckplatten kommen im Allgemeinen dünne eloxierte Aluminiumbleche zum Einsatz, welche in der Druckvorstufe durch eine digitale Belichtung in bildgebende und nicht-bildgebende Bereiche differenziert werden. Die nicht-bildgebenden Bereiche führen im Druckprozess das Feuchtmittel, sind dementsprechend hydrophil. Die bildgebenden Bereiche hingegen sind oleophil und werden im Druckprozess zunächst mit Feuchtmittel und anschließend mit Druckfarbe benetzt, wodurch eine Farb-Feuchtmittel-Emulsion entsteht. Das Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht (auch als Farb-Wasser-Gleichgewicht oder Farb-Wasser-Balance bezeichnet) beschreibt das Mengenverhältnis der beiden Komponenten in dieser Emulsion. Durch physikalische Grenzflächeneffekte und Oberflächenspannungen erzeugt dies bei einem optimal eingestellten Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht eine scharfe Trennung zwischen den bildgebenden und den nicht-bildgebenden Bereichen. Beim Offsetdruck spielt daher das Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht eine besonders wichtige Rolle, um eine hohe und gleichbleibende Qualität des Druckerzeugnisses gewährleisten zu können. Das Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht ist dabei nicht als ein fester, absoluter Zustand zu verstehen, sondern vielmehr als ein Prozessfenster, welches von einer Vielzahl an Prozessparametern und Einflussgrößen abhängt, die sich auch wechselseitig beeinflussen können. Neben der verwendeten Druckfarbe und der Qualität des Feuchtmittels gehören zu den bedeutendsten Prozessparametern in erster Linie der Bedruckstoff, das Sujet und die Druckgeschwindigkeit. Aber auch die klimatischen Bedingungen (Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit) inner- sowie außerhalb der Druckmaschine können das Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht stören. Liegt das Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht außerhalb des optimalen Prozessfensters, können Druckfehler entstehen, wodurch ein qualitativ hochwertiger Druck nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Wird dem Druckwerk beispielsweise zu wenig Feuchtmittel zugeführt, kann es zum sogenannten Schmieren kommen. Dieses Einlaufen der Farbe in die nicht-bildgebenden Bereiche ist in Abbildung 1a dargestellt. Wird hingegen zu viel Feuchtmittel eingesetzt, neigt der Druck zum Schablonieren (siehe Abbildung 1b), wobei eine Art Geisterbild entsteht. Dies sind nur zwei Beispiele, welche den Einfluss des Farb-Feuchtmittel-Gleichgewichts auf die Qualität des Druckerzeugnisses verdeutlichen. Tatsächlich können durch ein falsch eingestelltes oder sich im Prozess änderndes Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht vielfältige Druckfehler entstehen. [1,2]

Besonders problematisch wirkt sich eine sehr starke Erhöhung der Feuchtmittelmenge auf das Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht aus. In Abbildung 2 sind mikroskopische Aufnahmen unterschiedlicher Farb-Feuchtmittel-Emulsionen dargestellt. In Abb. 2a ist eine stabile Emulsion zu sehen, bei der sich das Feuchtmittel sehr fein in der Druckfarbe verteilt. Bei einer instabilen Emulsion (Abb. 2c) sind die Feuchtmitteltropfen nicht mehr fein verteilt, sondern beginnen sich untereinander zu verbinden. In diesem Zustand wird die Farb-Feuchtmittel-Emulsion dann als „umgekippt“ bezeichnet. Abb. 2b zeigt eine Farb-Feuchtmittel-Emulsion kurz vor dem Umkippen in den instabilen Zustand. Instabile Zustände sind unbedingt zu vermeiden. Auch eine „zu starke Feuchtung“ hat prozesstechnisch viele Nachteile, wie beispielsweise die zu geringe Einfärbung der Bildstellen. Bei „zu geringer Feuchtung“ nehmen jedoch die bildfreien Stellen Farbe an.

Selbst ein optimal eingestelltes Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht verändert sich im Verlauf eines Druckprozesses, beispielsweise durch die angesprochenen Veränderungen der Temperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit. Die Korrektur des Farb-Feuchtmittel-Gleichgewichts wird bei Abweichungen auch heutzutage noch händisch vom Druckpersonal durchgeführt und erfordert ein hohes Maß an Berufserfahrung. Bis heute besitzen selbst modernste Offsetdruckmaschinen keine direkte messtechnische Überwachung oder Regelung des Farb-Feuchtmittel-Gleichgewichts. Vielversprechende Ansätze zur Messung der Schichtdicken von Farbe und Feuchtmittel, wie beispielsweise die Laser-Triangulation zur Messung der Dicke des Feuchtmittelfilms oder der photothermischen Schichtdickenmessung der Farbe, ergaben bisher keine ausreichend verwertbaren Ergebnisse, welche eine industrielle Implementierung zur Regelung des Farb-Feuchtmittel-Gleichgewichts zugänglich gemacht hätten [4,5]. Die Regelung des Farb-Feuchtmittel-Gleichgewichts wird deshalb auch als das seit Jahrzehnten ungelöste Problem des Offsetdrucks beschrieben [6,7,8,9].

Das Forschungsprojekt „Magie-KI“

Zur Erforschung eines neuen Lösungsansatzes für eine automatische und stabile Regelung des Farb-Feuchtmittel-Gleichgewichts haben sich über den Fachverband Druck- und Papiertechnik des VDMA Firmen der Druckbranche und der Sensorik und Messtechnik zusammengefunden. Es wird in Kooperation vom Institut für Druckmaschinen und Druckverfahren (Prof. Dr.-Ing. Edgar Dörsam) an der Technischen Universität Darmstadt und dem Lehrstuhl für Messtechnik (Prof. Dr. Andreas Schütze) der Universität des Saarlandes durchgeführt. Mit dem Forschungsprojekt „Magie-KI“ soll ein neuartiger Ansatz verfolgt werden: Durch das Überwachen bereits zur Verfügung stehender Prozessparameter an der Offsetdruckmaschine in Kombination mit Daten zusätzlicher, bisher noch nicht eingesetzter Sensorik soll die Gesamtheit der Prozessdaten unter Zuhilfenahme von Methoden der Sensordatenfusion und des Maschinellen Lernens analysiert werden. Im Unterschied zu bisherigen Forschungsprojekten wird jedoch nicht versucht, den aufgetragenen Feuchtmittelfilm und damit die Feuchtmittelmenge direkt zu messen. Ziel ist es, auf Basis der fusionierten Prozess- und Messdaten und der durchlaufenen Lernalgorithmen des Maschinellen Lernens das Verständnis im Bereich des Farb-Feuchtmittel-Gleichgewichts zu erweitern, um daraus Handlungsempfehlungen ableiten zu können.

Die Vielzahl der geplanten Sensoren resultiert in umfangreichen und komplexen Daten, die nur schwer interpretierbar und verwertbar sind. Bei modernen Anlagen wie Druckmaschinen tritt dieser Umstand häufig auf, weshalb viele aktuelle Forschungsprojekte im Bereich der Zustandsüberwachung auf Methoden des Maschinellen Lernens zurückgreifen [10]. Diese ermöglichen es, komplexe Wirkzusammenhänge in Form von verschleierten Mustern aus den Daten zu extrahieren und Informationen über den Zustand von technischen Systemen in datengetriebenen Modellen zu komprimieren. Erforderlich ist hier eine umfassende Mess- und Datenplanung, um alle erforderlichen Einflussfaktoren und Störgrößen experimentell zu erfassen. Die anschließende Datenaufbereitung umfasst mehrere Stufen. Zunächst erfolgen die Datenorganisation und -integration, welche etwa 80 % des Aufwands ausmachen. Etwa 20 % entfallen auf die eigentliche Modellbildung beim Maschinellen Lernen. Dabei ist die Qualität der zugeführten Daten von entscheidender Bedeutung. Zur Vorbereitung der Daten gehört unter anderem die Merkmalsextraktion und die Kombination mit Prüfdaten, wobei Veränderungen und Charakteristiken in den Messsignalen betrachtet und mit den Zielgrößen korreliert werden. Vor der Modellbildung finden eine Dimensionsreduktion und Merkmalsselektion statt, bei denen geeignete Variablen identifiziert werden.

Im Projekt ist der Lehrstuhl für Messtechnik für die Entwicklung der KI-Methoden verantwortlich und setzt eine selbstentwickelte Toolbox für Maschinelles Lernen zu Datenauswertung ein. Neben der Visualisierung und Bestimmung der dominantesten Einflüsse in den Daten ist die Toolbox imstande, ein Wegdriften des Systemzustandes in bisher nicht berücksichtigte System(-fehler)-Zustände mittels sogenannter Novelty Detection zu beobachten [11, 12]. Andererseits sind datengetriebene Modelle von Natur aus anfällig gegen Änderungen, zum Beispiel der Umgebungsbedingungen [13], was eine Weiterentwicklung im Bereich der Übertragbarkeit und Robustheit der Modelle erfordert.

Als zusätzliche Sensorik für die Sensordatenfusion sollen Gassensoren zur Ermittlung der Konzentration von Isopropanol (neben Osmose-Wasser einer der Hauptbestandteile der Feuchtmittel) und Schallsensoren zum Detektieren von akustischen Veränderungen des Farbspaltungsprozesses im Druckwerk zum Einsatz kommen. Auch eine kontinuierliche Überwachung des Prozessklimas (Temperatur und relative Feuchtigkeit) inner- und außerhalb der Offsetdruckmaschine soll implementiert werden. Des Weiteren wird auch eine Mengenbilanzierung von Druckfarbe und Feuchtmittel mittels Durchflusssensoren in Betracht gezogen. Im Zuge des Forschungsprojektes wird ein Demonstrator entwickelt, der dem Druckpersonal dann zunächst Handlungsempfehlungen geben soll, um das Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht geeignet nachjustieren zu können.

In einer ersten Messkampagne wird die zusätzliche Sensorik erprobt und deren Verortung geklärt. Hierbei sind die Auswahl und Installation robuster Sensorik für den Einsatz innerhalb der Druckwerke besonders herausfordernd, da in diesen sehr raue Bedingungen herrschen. Dazu zählt unter anderem der ständige Farbnebel, eine hohe relative Luftfeuchtigkeit, ein stark begrenzter und teilweise unzugänglicher Bauraum sowie das Auftreten von Papierstaub.

Eine zweite Messkampagne wird anschließend auf Basis einer statistischen Versuchsplanung in den Technika der beteiligten Druckmaschinenhersteller durchgeführt. Ausgangssituation der Versuche ist eine stationär laufende Offsetdruckmaschine, welche ein vom Druckpersonal korrekt eingestelltes Farb-Feuchtmittel-Gleichgewicht aufweisen soll. Anschließend wird einerseits der Drift des Farb-Feuchtmittel-Gleichgewichts anhand der aufgezeichneten Prozessdaten protokolliert, anderseits soll eine gezielte Auslenkung aus dem Gutzustand des Druckprozesses durch Parametervariation erfolgen. Durch die abschließende Auswertung ausgewählter Druckbogen mit der Toolbox für Maschinelles Lernen soll der Zusammenhang zwischen den gefahrenen Prozessparametern, den Messwerten der Sensorik und der Qualität des Druckerzeugnisses hergestellt werden.

In einer dritten Messkampagne soll das so entstandene Modell zum Maschinellen Lernen zusammen mit dem entwickelten Demonstrator, einem an eine Druckmaschine anschließbaren Zusatzgerät, erprobt, weiterentwickelt und angepasst werden. Bei Feldversuchen in zwei Druckereien soll über einen Zeitraum von circa zwei Wochen die Validierung im Mehrschichtbetrieb durchgeführt werden. Für eine zukünftige Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse soll die Möglichkeit geschaffen werden, das Modell und den entwickelten Demonstrator auf andere Druckmaschinen übertragen und die betrachteten Druckprozesse erweitern und anpassen zu können. Mit Hilfe des Demonstrators soll zusätzlich die Akzeptanz des Forschungsergebnisses bei den KMU gefördert werden. Mit dem Forschungsprojekt „Magie-KI“ soll so ein entscheidender Beitrag zur weiteren Automatisierung von Druckprozessen sowie zur Reduzierung von Ausschuss und Kosten beziehungsweise allgemein zur Nachhaltigkeit von Druckereien geleistet werden.

Dieses Projekt wird gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimawandel (BMWK) im Programm IGF, Vorhaben Nr. 22060 N. Die Projektpartner bedanken sich besonders beim Forschungskuratorium Maschinenbau e.V. für die Unterstützung des Vorhabens sowie den Mitgliedern des projektbegleitenden Ausschusses für fruchtbare Diskussionen.

Literatur

[1] H. Kipphan, „Handbuch der Printmedien“, Berlin: Springer, 2000.

[2] H. Teschner, „Offsetdrucktechnik“, Fellbach: Fachschriften-Verlag GmbH & Co. KG, 1995.

[3] Heidelberger Druckmaschinen AG, „Grundlagen Bogen – Offsetdruck“, Print Media Academy, 2012.

[4] C. Spiessberger, P. Mayr, „Entwicklung und Erprobung eines Verfahrens zur kombinierten Schichtdicken- und Feuchtmittelmessung an einer Offset-Druckmaschine“, Abschlussbericht zum IGF-Vorhaben Nr. 18829 N, Universität Ulm, Institut für Lasertechnologie in der Medizin und Messtechnik, Ulm, 2018.

[5] R. Sarau, „Offsetfeuchtwerk“, Abschlussbericht zum IGF-Vorhaben Nr. 17768/BG/1, Darmstadt, 2015.

[6] A. Rosenberg, U. Bertholdt, H. Pertler, „Emulsionsbildung im Hochgeschwindigkeits-Rollenoffsetdruck - Notwendigkeit oder unvermeidbares Übel“, fogra-Forschungsbericht Nr. 52.027, München, 2006.

[7] W. Walenski, „Die Offsetfeuchtung unter die Lupe genommen“, Bericht über ein Fogra Symposium, 1987.

[8] B. Fritz, „Einflussgrössen auf die Feuchtmittelaufnahme von Offsetfarben“, Farbe + Lack, Frankfurt, 1987.

[9] T. E. Weber, S. Klein, E. Dörsam, A. Schütze, „Vorstudie zur Kontrolle des Farb-Wasser-Gleichgewichts und der Schichtdicken im Offsetdruck durch Einsatz von maschinellem Lernen“, Abschlussbericht, Darmstadt, 2021.

[10] T. Schneider, N. Helwig, A. Schütze, „Industrial Condition Monitoring with Smart Sensors using Automated Feature Extraction and Selection”, IOP Meas. Sci. Technol., 29 094002, 2018.

[11] M.A.F. Pimentel, D. A. Clifton, L. Clifton, L. Tarassenko, „A review of novelty detection”, Signal Processing, 99, 215-249, 2014.

[12] T. Schneider, S. Klein, A. Schütze, „Machine learning in industrial measurement technology for detection of known and unknown faults of equipment and sensors“, tm - Technisches Messen, 86 (11), 706–718, 2019.

[13] P. Goodarzi, A. Schütze, T. Schneider, „Comparison of different ML methods concerning prediction quality, domain adaptation and robustness“, tm - Technisches Messen, in print, 2022.

https://www.idd.tu-darmstadt.de/

https://www.lmt.uni-saarland.de/

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